Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
einzureiten. Einmal noch wandte er sich nach dem Feuer um, wo die schweigenden Kosaken in den Khakianzügen und mit den gelben Mützen saßen, winkte ihnen, drehte sich dann endgültig nach vorn und gab seinem Elefanten die Sporen. Das Tier lief los, doch nach wenigen Schritten gab es einen heftigen Lichtblitz, worauf der Elefant vom Erdboden verschwunden war. Der Blitz war so grell, daß ich beinahe eine ganze Minute lang nichts anderes sah als den gelb-violetten Brandfleck, den er auf der Netzhaut hinterlassen hatte.
    »Ich vergaß, Sie vor dem Blitz zu warnen«, sagte Jungern. »Gift für die Augen. Bei uns in der Asiatischen Reiterdivision war es in solchen Fällen üblich, sich mit einer schwarzen Binde zu schützen.«
    »Hat es solche Fälle denn häufig gegeben?«
    »Früher ja. Manchmal sogar mehrmals täglich. Eine Häufigkeit, die zum Erblinden hätte führen können. Aber inzwischen ist es anders, die Leute haben sich verkrümelt. Wie ist es, können Sie wieder sehen?«
    »Ja.«
    Tatsächlich begannen sich die Dinge für mich langsam wieder von ihrer Umgebung abzuheben.
    »Möchten Sie, daß ich Ihnen zeige, wie es früher einmal war?«
    »Wie soll das gehen?«
    Anstelle einer Antwort zog der Baron seinen Säbel aus der Scheide.
    »Schauen Sie auf die Klinge.«
    Ich tat, wie mir geheißen, und sah im nächsten Augenblick auf einem Streifen grellweißen Lichtes, wie auf einer Kinoleinwand, bewegte Bilder flimmern. Zu sehen gab es eine Wanderdüne, inmitten deren eine ungefähr zehnköpfige Gruppe von Offizieren stand: einige normal uniformiert, zwei, drei mit Pelzmützen und Kosakenkitteln in Tarnfarben; da, wo die Brusttaschen hingehörten, saßen Patronenfutterale oder etwas in der Art. Alle trugen sie schwarze Binden vor den Augen, die Köpfe hielten sie in eine Richtung. Plötzlich entdeckte ich Tschapajew in der Gruppe – trotz der Augenbinde leicht zu erkennen. Er sah sehr viel jünger aus, die Schläfen waren noch nicht grau. Mit der einen Hand preßte er sich den Feldstecher vor die verbundenen Augen, die andere klopfte mit der Reitgerte gegen den Stiefel. Der Mann im Kosakengewand neben Tschapajew mochte Baron Jungern sein, doch war ich mir dessen noch nicht sicher, als die Klinge sich drehte und die auf der Düne stehenden Männer verschwanden. Dafür gab es nun Einblick in die endlose Weite einer Wüste. Ganz in der Ferne vor dem tiefblauen Himmel zwei Schemen. Den Umrissen nach konnten es zwei Elefanten sein. Sie waren zu weit entfernt, als daß man hätte erkennen können, wer auf ihnen ritt – nichts als winzige Buckel auf den großen Rücken. Plötzlich wurde der Horizont in schmerzend helles Licht getaucht, und als es vorüber war, lief da nur noch ein Elefant. Von der Düne her klang Applaus. Gleich darauf der zweite Blitz.
    »Wenn das so weitergeht, kann ich meine Augen vergessen, Baron«, sagte ich und löste den Blick von der Klinge des Säbels.
    Jungern schob ihn in die Scheide zurück.
    »Liegt dort vorn etwas Gelbes im Gras?« fragte ich. »Oder habe ich noch Flecke vor den Augen?«
    »Nein, nein. Das ist die Mütze von Ignat.«
    »Ach, die bösen, bösen Winde aus dem Osten?«
    »Mit Ihnen konversiert es sich ausgesprochen angenehm, Pjotr«, sagte der Baron. »Sie verstehen schnell. Wollen Sie sie zum Andenken?«
    Ich bückte mich und hob die Mütze auf. Sie paßte hervorragend. Ich überlegte kurz, was ich mit meiner alten anstellen sollte; mir fiel nichts Besseres ein, als sie einfach wegzuwerfen.
    »In Wirklichkeit verstehe ich längst nicht alles«, sagte ich dann. »Mir ist zum Beispiel ein Rätsel, wo Sie in dieser Einöde den Elefanten aufgetrieben haben.«
    »Mein lieber Pjotr«, entgegnete der Baron. »Die Welt um uns ist voll von unsichtbaren Elefanten, das können Sie mir glauben. Rußland hat mehr Elefanten als Krähen. Doch lassen Sie uns das Thema wechseln. Es wird langsam Zeit, daß Sie zurückkehren, und eines würde ich Ihnen zu guter Letzt gern noch mit auf den Weg geben. Vielleicht das Wichtigste überhaupt.«
    »Und das wäre?«
    »Wohin es den verschlägt, der den Thron im Nirgendwo endlich bestiegen hat. Wir nennen diesen Ort die Innere Mongolei.«
    »Wer ist wir?«
    »Sagen wir mal, Tschapajew und ich«, erwiderte der Baron mit einem Lächeln. »Wiewohl ich hoffe, daß auch Sie mit der Zeit noch dazustoßen werden.«
    »Und wo liegt er, dieser Ort?«
    »Das ist es ja. Eben nirgendwo. Im geographischen Sinne läßt er sich an keiner Stelle festmachen.

Weitere Kostenlose Bücher