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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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kreuzte die Arme vor der Brust, sagte aber immer noch keinen Ton und starrte nach unten in den Gang zwischen den Reihen. Alsbald setzte Murmeln ein und verstärkte sich binnen weniger Sekunden zu kräftigem Getöse; Pfiffe und ein paar hämische Rufe waren gut herauszuhören. In diesem Moment begann ich mit betont leiser Stimme zu sprechen.
    »Meine Herren, leider muß ich mich darauf beschränken, mit dem Mund zu euch zu sprechen, da es mir an Zeit und Gelegenheit fehlte, die hier gängigen Umgangsformen einzuüben.«
    Die ersten Worte meiner Ansprache gingen vollkommen unter. Doch schon gegen Ende des einleitenden Satzes war der Lärm so weit verebbt, daß man die Fliegen summen hörte, die in Schwärmen über der Hörerschaft kreisten.
    »Genosse Furmanow hat mich gebeten, euch ein paar Verse zu rezitieren; etwas Revolutionäres soll es sein. Dem möchte ich, in meiner Eigenschaft als Kommissar, eine Anmerkung vorausschicken. Genosse Lenin hat uns vor allzuviel formalen Experimenten gewarnt, und der Genosse, der vor mir hier aufgetreten ist, der mit dem Hintern redet, ja, Sie meine ich, Genosse, nehmen Sie es mir nicht übel: Lenin hat uns gelehrt, daß revolutionäre Kunst nicht durch äußerliche Extravaganzen entsteht; entscheidend ist die tiefe Durchdrungenheit von der proletarischen Idee. Zur Illustration möchte ich euch ein Gedicht vortragen, das von irgendwelchen Fürsten und Grafen handelt und doch zugleich ein Musterbeispiel ist für proletarische Poesie.«
    Nun war das Publikum endgültig mucksmäuschenstill. Ich hob, wie in Ehrerbietung vor einem unsichtbaren Cäsaren, die Hand und rezitierte in meiner üblichen Manier, also ohne Intonation, nur mit kurzen Pausen zwischen den Quartetten:
    Fürstin Meschtscherskaja besaß ein erlesenes Fetzchen,
Samtschwarz und schwül wie die spanische Nacht.
Darin erschien sie dem Hausfreund, dem goldigen Schätzchen,
Doch der, schreckensbleich, hat die Fliege gemacht.
    O Wonne! O Schmerz! Amoroso al fine!
Sprach die Fürstin, und ihr stand der Sinn jetzt nach Brahms.
    Und dem Hausfreund stand er hinter der Gardine
Samt schwarzem Überzieher, und ihm kam's
    Schon beinah. Ach, Kinder, denkt nicht, das wäre gelogen!
So war sie, die imperialistische Brut.
Wüstlinge, die dem Volk das Blut aus den Adern sogen!
Die gibt's heute nicht mehr, und das ist gut.
    Heut' weht ein andrer Wind, und jeder Arbeiter darf
Den Überzieher tragen wie ein Fürst oder Graf!
    Für einige Augenblicke herrschte Stille, und dann brach ein Beifall los, wie ich ihn selbst in besten Zeiten den Petersburger Bohemiens im »Streunenden Hund« nicht abzuringen vermocht hatte. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie Anna aufstand und sich entfernte, doch das scherte mich im Moment wenig; ich fühlte mich zugegebenermaßen geschmeichelt, und aller Sarkasmus bezüglich dieses Publikums war erst einmal vergessen. Einem eingebildeten Feind mit der Faust drohend, zog ich den Browning aus der Tasche und schoß zweimal in die Luft. Augenblicklich wuchs eine Palisade von Flinten- und Pistolenläufen aus den Reihen hervor, und ein Salut, begleitet von einem Mordsgebrüll, war die Antwort. Mit einer knappen Verbeugung trat ich ab und lief im Bogen um den Pulk immer noch applaudierender Weber seitlich der Bühne geschwind ins Haus.
    Der Erfolg berauschte mich doch einigermaßen. Wahre Kunst unterscheidet sich von dem, was Kunst zu sein vorgibt, darin, daß sie den Weg zum hartgesottensten Herzen findet und imstande ist, noch das kläglichste, dem Trance der infernalischen Weltrevolte verfallene Opfer für einen Moment in den Himmel zu heben, in eine Welt der völligen und uneingeschränkten Freiheit – so etwa gingen meine Gedanken. Indes setzte alsbald Ernüchterung ein, und mich beschlich die (meine Eitelkeit durchaus kränkende) Ahnung, daß mir vielleicht nur deshalb so viel Beifall gezollt worden war, weil man in meinen Versen eine Art Mandat zu sehen meinte, welches der um sich greifenden Gesetzlosigkeit zusätzliche Räume öffnete: Zu Lenins Aufforderung »Fleddert die Raffkes!« kam nun noch ein obskurer Freibrief, den Gebrauch von Überziehern betreffend.
    Zurück in meinem Zimmer, legte ich mich auf das Bett und starrte, die Hände unterm Kopf gefaltet, zur Decke. Wenn ich überdachte, was mir in den letzten zwei, drei Stunden widerfahren war, so schien damit dem russischen Intellektuellen in seinem ewigen, unabänderlichen Schicksal der Spiegel vorgehalten. Heimlich Rotbannerverse schmiedend und

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