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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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bluttriefende feindliche Hydra noch lange unserer Roten Armee Widerstand leisten?«
    Nostradamus, der Unsichtbare, antwortete:
    »Nicht mehr lange.«
    »Und warum weicht sie noch nicht, die bluttriefende feindliche Hydra?«
    »Entente«, kam die bündige Antwort.
    Bei den Antworten blieben die Lippen des Mannes völlig unbeweglich, dafür zappelte der hervorgereckte Hintern um so heftiger. Die nachfolgenden Fragen drehten sich um Politik, um die Gesundheit der führenden Genossen (es ging das Gerücht, daß Lenin mit einem neuen Hirnschlag nach Gorki gebracht worden war und nur die Chefs der Leibwachen zu ihm vorgelassen wurden). Das Publikum hielt gebannt den Atem an.
    Ich wußte sofort, was hier gespielt wurde. Vorzeiten hatte ich in Florenz einen Bauchredner auf der Straße erlebt, der Dantes Geist beschwor. Der Mann hier tat ähnliches, freilich mit dem Unterschied, daß die Antworten, die der »Geist« gab, ihn zum größten Marxisten von ganz Europa qualifizierten. Daran, daß der Mann ein Bauchredner war, ließ der eigentümlich tiefe, nicht eben klare, eher gurrende Klang der Stimme keinen Zweifel. Fragen mußte man sich bloß, warum der Künstler den Webern weiszumachen suchte, daß er die Laute mit dem Hintern fabrizierte.
    Dies war in der Tat eine sehr interessante Frage.
    Mein erster Gedanke war, es hätte damit zu tun, daß man roten Webern nicht so einfach mit Geistern kommen durfte, weil es ihrer Ansicht nach keine Geister gab. Dann aber kam mir die Vermutung, daß es um etwas ganz anderes ging. Wie dieser Straminski dort oben instinktiv begriffen zu haben schien, bedurfte es eines Mindestmaßes an Obszönität, um das hier anwesende Publikum bei der Stange zu halten. Und da des Künstlers Talente diesbezüglich eher neutraler Natur waren (soweit ich weiß, reden Bauchredner nicht einmal richtig mit dem Bauch, sie können einfach sprechen, ohne den Mund zu bewegen), mußte er sie bewußt unter die Gürtellinie ziehen.
    Oh, wie bedauerte ich es in diesem Augenblick, keinen von den Symbolisten an meiner Seite zu haben! Sologub zum Beispiel! Oder besser noch Mereshkowski! Ließ sich ein eindringlicheres Symbol finden, ein umfassenderes? So also, dachte ich voller Bitterkeit, sah das Schicksal der schönen Künste in dem Tunnel aus, in den uns die Lokomotive der Geschichte gerade hineinzog und aus dem es keinen Ausgang gab. Wenn selbst ein Schaubudenbauchredner sich gezwungen sah, auf derlei Kinkerlitzchen zurückzugreifen, was hatte dann die hohe Dichtkunst zu erwarten? Ihr war in der neuen Welt kein Platz mehr beschieden – es sei denn, der Autor wäre mit zwei Schwänzen oder doch immerhin der Fähigkeit begabt gewesen, seine Verse mit dem Arsch zu rezitieren. Wie kommt das bloß? fragte ich mich: Jede soziale Verwerfung irgendwo in der Welt führt am Ende dazu, daß dieser trübe Schaum oben schwimmt und alle anderen dazu zwingt, nach seinem schuftigen Klüngelkodex zu leben.
    Unterdessen hatte der Bauchredner den baldigen Untergang der Macht des Kapitals geweissagt, noch einen abgedroschenen Witz erzählt, den unten niemand verstand, und zu guter Letzt ein paar gedehnte Laute grob physiologischer Natur von sich gegeben, die das Auditorium mit dankbarem Gelächter entgegennahm.
    Der Conferencier erschien wieder und kündigte meinen Auftritt an. Über ein paar durchhängende Planken bestieg ich das Podium, postierte mich am vorderen Rand und betrachtete schweigend das Publikum. Es war, muß ich sagen, kein sehr erfreulicher Anblick. Man kennt die Art Ausdruck in den Glasaugen eines ausgestopften Wildschweins oder Elchs – besser gesagt, die Gefühlslage, die der Betrachter, wüßte er nicht, daß die Augen tot sind und aus Glas, diesem Ausdruck entnähme. Was ich sah, entsprach dem, nur umgekehrt: Zwar schienen die meisten der auf mich blickenden Augen zu leben und ein Gefühl zu vermitteln, das ich durchaus kannte, doch wußte ich, diese Leute empfanden nicht das, was ich zu sehen meinte, und in Wirklichkeit würde ich niemals entschlüsseln können, was in ihren Köpfen dräute. Wahrscheinlich hätte es die Mühe auch nicht gelohnt.
    Nicht alle blickten zu mir herauf. Furmanow war betrunken und schwätzte mit seinen zwei Adjutanten; in einer der hinteren Reihen entdeckte ich Anna, die mit verächtlichem Lächeln auf einem Strohhalm kaute. Das Lächeln galt wohl nicht mir – ihr Blick ging sonstwohin. Sie trug noch das gleiche schwarze Samtkleid wie vor Stunden.
    Ich stellte einen Fuß nach vorn,

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