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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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sich mit Lobliedern auf den Schutzheiligen des örtlichen Polizeipräsidenten sein Brot verdienend. Oder umgekehrt den letzten Gang Seiner Majestät des Zaren vor dem inneren Auge erschauend und öffentlich der Anbringung gräflicher Präservative auf den schwieligen Genitalien des Proletariats das Wort redend – so war es immer, dachte ich, und so wird es bleiben. Selbst wenn man vermutete, daß die Macht in diesem schrecklichen Lande von keiner der Cliquen übernommen werden würde, die sich im Moment darum rissen, sondern Gaunern und Spitzbuben in die Hände fiele, wie sie in den »Musikalischen Spieldosen« herumsaßen – auch ihnen würde sich der russische Intellektuelle andienen wie der letzte Hundefrisör.
    Während mir all das durch den Kopf ging, schlief ich schon halb. Ein plötzliches Klopfen an die Tür riß mich in die Wirklichkeit zurück.
    »Ja?« rief ich, ohne mir die Mühe zu machen, mich vom Bett zu erheben. »Herein!«
    Die Tür ging auf, doch niemand trat ein. Ich wartete einige Sekunden, dann hielt ich die Spannung nicht mehr aus und hob den Kopf. Anna stand in der Tür, im selben hochgeschlossenen Schwarzen.
    »Darf ich?«
    »Aber ja«, sagte ich und sprang auf, »bitte schön. Nehmen Sie Platz.«
    Anna ließ sich im Sessel nieder – die Sekunde, die sie mir den Rücken zukehrte, nutzte ich, um den auf dem Boden liegenden löchrigen Fußlappen mit einem Kick unter das Bett zu befördern.
    Die Hände auf den Knien, saß Anna nun in meinem Sessel und maß mich mit einem langen Blick; dabei schien sie einen noch unausgegorenen Gedanken reifen zu lassen.
    »Möchten Sie rauchen?« fragte ich.
    Sie nickte. Ich zog die Papirossy hervor, legte sie vor sie hin auf den Tisch, stellte die Untertasse daneben, die mir als Aschenbecher diente, und rieb ein Streichholz an.
    »Danke«, sagte sie und blies einen dünnen Strahl Rauch zur Decke. Darauf sank sie in die vorherige Starre zurück. Man sah, in ihr ging ein Kampf vonstatten. Mir lag irgendeine Banalität auf der Zunge, wie man sie gebraucht, um ein Gespräch in Gang zu bringen, als mir gerade noch rechtzeitig einfiel, womit solches bislang stets geendet hatte; so verkniff ich es mir. Auf einmal fing Anna selbst an zu reden.
    »Daß mir Ihre Gräfinnenverse sehr zugesagt hätten, kann ich nicht behaupten. Aber gemessen an den übrigen Nummern des Abends haben Sie eine ganz ordentliche Figur gemacht.«
    »Danke.«
    »Ich habe übrigens schon den ganzen Abend mit Ihren Gedichten zugebracht. In der Garnisonsbibliothek fand sich ein Bändchen.«
    »Welches denn?«
    »Weiß ich nicht. Die ersten Seiten fehlten. Da hat sich jemand Zigaretten gedreht, nehme ich an.«
    »Woher wollen Sie dann wissen, daß es meine Gedichte waren?«
    »Ist das wichtig? Ich hab den Bibliothekar gefragt, ganz einfach. Also jedenfalls gibt es da diese Anlehnung an Puschkin, wo es drum geht, daß einer die Augen aufschlägt, und ringsum ist nichts als Schneewüste und Nebel – und dann, dann kommt eine sehr gute Stelle. Warten Sie, wie ging das doch gleich … Ah ja.
    Doch in uns glüht ein Rest Verlangen
Züge verkehrn bis Ultimo
Der Geist, er flattert unbefangen
Vom Niemandsland ins Nirgendwo.«
    »Ach, ich weiß. ›Gesänge vom Königreich Ich‹ heißt das Buch.«
    »Merkwürdiger Titel. Klingt irgendwie selbstgefällig. Tschapajew würde sicher gleich fragen, wen Sie meinen, wenn Sie ›Ich‹ sagen.«
    »Das hat er schon. Was dieses Buch betrifft – übrigens eines meiner schwächsten, bei Gelegenheit zeige ich Ihnen die anderen –, da gibt es eine einfache Erklärung. Ich bin früher viel in der Welt herumgereist, bis ich eines Tages begriff, daß ich mich eigentlich immer nur im selben Raum bewegte, und dieser Raum war ich selbst. Dem gab ich damals den Namen ›Ich‹, er hätte auch ›Du‹ oder ›Müllers Kuh‹ heißen können, egal.«
    »Und was ist mit den anderen?« fragte Anna.
    »Welchen anderen?«
    »Na ja. Sie schreiben doch viel über andere. Zum Beispiel …«
    Sie runzelte ein wenig die Stirn, suchte sich offenbar einer Stelle zu entsinnen.
    »Ich hab's:
    Im Göpel schwitzten sie und tropften.
Sie machten Staat. Und sponnen Zwirn.
Um Jahr und Tag zu zählen, klopften
gegen die Wand sie mit der Stirn …
Ihr Anblick war mir so zuwider,
daß es mich doch zu ihnen zog.
Mehr reizt ihr Gleichschritt, je morbider
die Welt sich neigt zum Nekrolog.
So faßte ich …«
    »Es reicht«, unterbrach ich sie, »ich entsinne mich. Das ist nun wirklich kein

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