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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Tschapajew es sich vorgestellt hatte, ein Sonett im »Spieldosen-Stil«, mit markigem, gleichsam mit dem Säbel gehacktem Rhythmus und sperrigen Reimen. Als ich damit fast schon zu Rande war, ging mir auf, daß jegliche revolutionäre Symbolik fehlte, so daß ich die letzten Verse umzuschreiben beschloß. Schließlich war alles fertig. Ich steckte das beschriebene Blatt in die Jackentasche und wollte mich auf den Rückweg machen, als ich plötzlich spürte, daß durch das bißchen Mühe, welches ich auf das kleine Webergedicht verwandt hatte, die seit Ewigkeiten in mir schlafende Dichtermuse wachgeküßt war; ein unsichtbarer Flügel breitete sich über mich, alles ringsumher wurde unwichtig. Ich dachte an den Tod des Zaren (Furmanow hatte die üble Nachricht mitgebracht), und der verbliebene weiße Raum auf dem Papier füllte sich wie von selbst mit blitzsauberen, von flüssigen Reimen durchsetzten Anapästen, die mir vorkamen wie ein unglaubliches Echo vergangener Zeiten:
    Zwei Matrosen im Wald
Stiefeln gegen den Wind und die Dämmerung.
Breit das lederne Kreuz,
Achtlos schändend den grünenden Ast.
Ihre Herzen versenkt
Unter Packen und Gurten mit Munition,
Und die Beine gerammt
Palisadengleich in den Morast.
Müde schleppt sich der Zar,
Da der Marsch aus dem Wald hin zur düstren Stadt
In die Länge sich zieht,
Und die Püffe der Büttel sind rüd.
Pöbel säumt seinen Weg,
Sanitäter bespucken ihn ungeniert:
Nur ein weitres Indiz,
Daß die russische Seele verblüht.
Doch er hört sie nicht mehr,
Ihre Flüche und falschen Belehrungen,
Nicht das »Fick dich ins Knie!«
Noch das Kolbengeklapper auf Stein.
Denn der Zar geht dahin,
Sieht den Wald und die Sonne zum letztenmal,
Und es juckt ihn nicht mehr,
Wie sie Gift spritzen, ihm hinterdrein.
Auf dem Stubben er sinnt:
»In the midst of this stillness and sorrow,
In these days of distrust
May be all can be changed – who can tell?
Who can tell what will come
To replace our visions tomorrow
And to judge our past? –
So, jetzt habt ihr's von mir offiziell.«
    Daß der Zar englisch redete, wunderte mich überhaupt nicht. Warum sollte er sich nicht im Angesicht des Todes (oder doch von etwas anderem – ich wußte es selbst nicht) auf eine vom Rat der Volkskommissare per Dekret verunglimpfte Sprache zurückziehen. Weit mehr in Erstaunen setzten mich die Sanitäter – was sie hier zu suchen hatten, war mir vollkommen unklar. Im übrigen hatte ich mich nie groß darum geschert, wie meine Gedichte zu verstehen waren, spürte ich doch seit langem, welch zweifelhaftes Handwerk das Schreiben war. Hatte man einmal die Feder in die Hand genommen und sich übers Blatt gebeugt, blieb nichts weiter zu tun, als die vielen, über die Seele verteilten Schlüssellöcher so hintereinanderzustellen, daß durch sie hindurch urplötzlich ein Sonnenstrahl auf das Papier fiel.
    Als ich auf den Gutshof zurückkehrte, war die Vorstellung bereits in vollem Gange. In einer Ecke des Hofes gab es eine improvisierte, von den Webern aus Brettern eines abgerissenen Zauns schnell zusammengenagelte Bühne. Auf Stühlen und Bänken, die man von überall herangetragen hatte, saßen die Soldaten und verfolgten das Geschehen. Ich kam just hinzu, wie unter lautem Hallo und Gelächter der Anwesenden ein Pferd von der Bühne gezerrt wurde – das arme Tier hatte wohl das Pech, über irgendein Talent zu verfügen, welches es soeben hatte demonstrieren müssen. Nun erklomm ein dürrer Mann mit Säbel an der Hüfte den Bühnenrand, der aussah wie ein Dorfklubleiter und hier offenbar den Conferencier mimte. Er wartete, bis der Lärm abgeklungen war, und verkündete feierlich:
    »Ein Pferd mit zwei Schwänzen, das ist mal was. Aber nun kommt der Soldat Straminski dran, der mit dem Arsch reden kann, und zwar auf gut russisch, und vor der Volksbefreiung hat er als Artist im Zirkus gearbeitet. Er redet leise, also bitte schön still sein und nicht so laut wiehern.«
    Ein kahlköpfiger, bebrillter junger Mann betrat die Bühne. Im Unterschied zu den meisten aus Furmanows Truppe machten seine Gesichtszüge einen erstaunlich intelligenten, mitnichten vertierten Eindruck. Es war der Typ »Spaßvogel vom Dienst«, wie man ihn häufig antrifft, mit einem Gesicht, das von den immerzu aufgesetzten Grimassen Runzeln trug. Er ließ sich einen Schemel reichen, stützte sich, seitlich zum Publikum, mit den Händen darauf, und hielt das Gesicht den Leuten zugewandt.
    »Sag, Großer Nostradamus«, begann er, »wird die

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