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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Kraft, vielfach verkörpert und doch in der Mehrzahl der Fälle immerwiedergleich, so daß sich ein gültiges Bild zusammenfügte: ein junger Mann mit kleinem Schädel und kräftigen Schultern, der einen himbeerroten Zweireiher trug, breitbeinig dastand, vor einem Wagen von langer, niedriger Bauart. Dieses Auto war nur vage und verschwommen zu erkennen, da jene vielen, in deren Seelen Maria blicken konnte, sich hier die verschiedensten Marken vorstellten. Gleiches betraf die Gesichtszüge des jungen Mannes – sie waren nur sehr ungefähr auszumachen, die leicht gelockte, kastanienbraune Kurzhaarfrisur war das einzige, was ein wenig klarer hervortrat. Dafür war der Sakko von außerordentlicher Schärfe, man konnte, wenn man sich etwas Mühe gab, sogar die Aufschrift auf den goldenen Knöpfen lesen. Maria tat dies nicht. Es ging nicht darum, was auf den Knöpfen stand, es ging um die Frage, wie diese unbezwingliche Kraft mit ihrer zarten Liebe zu vereinen war.
    Maria hielt inne und lehnte sich gegen einen der Granitpoller, die die einzelnen Abschnitte des gußeisernen Geländers voneinander trennten. Wieder mußte sie Antwort suchen in den Herzen und Hirnen derer, die ihr vertrauten, doch dieses Mal – Maria wußte es ganz genau – konnte sie keine Durchschnittsgedanken brauchen. Etwas anderes mußte her.
    Es müßte doch wenigstens ein gescheites Weibsbild darunter sein! dachte sie.
    Und dieses gescheite Weibsbild fand sich beinahe augenblicklich. Maria wußte nicht, wie sie hieß, wer sie war und wie sie aussah – was für Sekunden aufblitzte, waren große Bücherregale, ein mit Papieren überladener Schreibtisch, darauf die Schreibmaschine und an der Wand darüber das Foto eines Mannes mit gigantisch geschwungenem Schnurrbart und düsterem Blick – all dies so flackernd, verzerrt und schwarzweiß, als blickte Maria aus dem zigarettenschachtelgroßen Bildschirm eines uralten Fernsehers, der noch dazu nicht in der Mitte des Zimmers, sondern irgendwo in einer Ecke stand. Ohnehin waren die optischen Eindrücke viel zu flüchtig, als daß Maria über das Gesehene hätte nachdenken können, statt dessen kamen die Gedanken zu ihr.
    Maria konnte mit dem Wirbelwind von Begriffen, der sich ihr nun darbot, kaum etwas anfangen, zumal er etwas Muffiges, Düsteres an sich hatte – wie die Wolke Staub, die sich erhebt, wenn ein alter Paravent aus der Abstellkammer kippt. Maria schloß daraus, daß es sich um ein stark verunreinigtes, nicht ganz normales Bewußtsein handelte, und sie war sehr erleichtert, als sie es hinter sich hatte. Was als magere Ausbeute in der rosa Blase ihrer Seele hängenblieb, waren einige nicht restlos verständliche Wörter: »die Schöne Dame« (da wußte man noch, wer gemeint war), »die Unbekannte« (dito), alsdann »DER BRÄUTIGAM« (aus unerfindlichen Gründen in Großbuchstaben), sowie »DER GAST« (dito), dahinter hing die rätselhafte Wortgruppe »Alchimistische Ehe« und noch dahinter etwas ganz Unerklärliches: »Ruhen nützt schwerlich. Ich klopfe ans Tor.« Mehr war nicht, danach blitzte nur noch einmal das Photo auf – jenes Mannes mit dem verzückten Blick und dem Riesenschnauzer, der aus der Nase zum Kinn hinunterzuwuchern schien.
    Verstört blickte sie um sich. Nach wie vor gab es außer Rauch nicht viel zu sehen. Maria fiel ein, daß es irgendwo in der Nähe ein Tor geben konnte, an das zu klopfen war, und sie tat ein paar zögerliche Schritte in den schwarzen Rauch hinein. Doch als die Schwärze von allen Seiten zugleich über sie hereinbrach, eilte sie voller Angst zur Promenade zurück, wo es immerhin noch ein wenig heller war.
    Ob ich nun anklopfe oder nicht, dachte sie, es macht ja doch keiner auf.
    Das Brummen eines Automotors näherte sich von hinten. Maria drückte sich an die Uferbalustrade und sah dem, was aus dem Rauch auf sie zukam, mit Bangen entgegen. Einige Sekunden vergingen, bis ein langer, schwarzer, mit bunten Bändern geschmückter Wagen langsam an ihr vorüberschwamm. Ein Tschaika, wie sie erkannte, eine Hochzeitsequipage. Das Auto war vollbesetzt mit in sich gekehrten, schweigenden Menschen; einige Gewehrmündungen ragten aus den Seitenfenstern, und auf dem Dach leuchteten zwei gelbe Ringe, der eine größer, der andere kleiner.
    Maria sah dem Tschaika nach und schlug sich dann mit der Hand gegen die Stirn. Aber ja, dachte sie. Genau. Keine Frage. Zwei verschlungene Ringe, DER BRÄUTIGAM, DER GAST, DER SPONSOR. Die Alchimistische Ehe. Was »alchimistisch«

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