Buddhas kleiner Finger
der Hand, Barbolin trug einen ganzen Berg Unterwäsche.
»Wir kommen jetzt hübsch heraus«, verkündete Sherbunow fröhlich und schwenkte die Sanduhr.
Der Reihe nach wurden wir mit einem riesigen, geblümten Laken abgetrocknet, sodann halfen die beiden uns in einheitlich quergestreifte Schlafanzüge, durch die das Geschehen sogleich einen maritim-militärischen Anstrich bekam. Anschließend wurden wir aus dem Badezimmer hinaus- und einen Flur entlanggeführt. Auch dieser endlose Flur kam mir bekannt vor – beziehungsweise nicht er, sondern der undefinierbare Medizingeruch, der dort hing.
»Können Sie mir vielleicht sagen, warum ich hier bin?« wandte ich mich unterwegs mit gedämpfter Stimme an den hinter mir gehenden Sherbunow.
Vor Verwunderung bekam der Mann große Augen.
»Als ob du das nicht selber wüßtest«, sagte er.
»Eben nicht«, sagte ich, »ich bin zwar schon soweit anzunehmen, daß ich krank bin. Aber was war der Anlaß für die Einlieferung? Bin ich schon lange hier? Und was für Handlungen werden mir konkret zur Last gelegt?«
»Alles Fragen, die du dem Professor stellen kannst«, sagte Sherbunow. »Wir haben keine Zeit zum Schwätzen.«
Ich fühlte mich maßlos niedergeschlagen. Vor einer weißen Tür mit aufgemalter »7« blieben wir stehen. Barbolin schloß sie auf, und wir wurden eingelassen. Es war ein Raum mit vier Betten, die längs der Wände aufgestellt und bezogen waren. Vor dem vergitterten Fenster stand ein Tisch. Außerdem gab es ein weiteres Möbel – halb Liege, halb flacher Sessel, mit Gummischlaufen für Hände und Füße. Trotz dieser Schlaufen wirkte das Ding nicht bedrohlich. Es sah ausgesprochen medizinisch aus, so daß mir sogar die blödsinnige Wortverbindung »urologischer Stuhl« in den Sinn kam.
»Sie entschuldigen«, wandte ich mich an Wolodin, »ist das etwa die Garrotte, von der Sie sprachen?«
Wolodin warf mir einen kurzen Blick zu und deutete dann zur Tür. Dort stand Professor Kanaschnikow.
»Garrotte?« fragte er und legte die Stirn in Falten. »Wenn ich mich recht entsinne, ist die Garrotte ein Stuhl, worauf man die Delinquenten im mittelalterlichen Spanien erdrosselt hat, richtig? Welch düstere, deprimierte Wahrnehmung der Umwelt! Sie Pjotr, können nichts dafür, Sie haben ja heute morgen eine Spritze bekommen. Aber Sie, Wolodin? Da muß ich mich doch sehr, sehr wundern.«
Während er so vor sich hinredete, gab der Professor Sherbunow und Barbolin ein Zeichen, sich zu entfernen, und trat selbst in die Mitte des Zimmers.
»Das hier ist gewiß keine Garrotte«, sagte er. »Es ist ein ganz gewöhnlicher Stuhl, den wir für unsere Gruppensitzungen benötigen. Bei einer dieser Sitzungen waren Sie gestern schon dabei, Pjotr, gleich nach Ihrer Rückkehr aus der Einzelzelle, allerdings in einem so bedenklichen Zustand, daß Sie kaum etwas davon behalten haben dürften.«
»Sagen Sie das nicht. Ich weiß noch so einiges«, erwiderte ich.
»Um so besser. Trotzdem will ich noch einmal in kurzen Worten erläutern, worum es hier geht. Die von mir entwickelte und praktizierte Methode könnte man als turbojungianisch bezeichnen. Ich gehe davon aus, daß Sie mit den Ansichten von Jung vertraut sind.«
»Pardon, wie war der Name?«
»Carl Gustav Jung. Ich sehe schon, die psychische Aktivität ist bei Ihnen einer strengen Zensur seitens der Pseudopersönlichkeit unterworfen. Und da letztere im Jahr neunzehnhundertachtzehn-neunzehn lebt, darf man sich nicht wundern, daß Ihnen dieser Name anscheinend entfallen ist. Obwohl, vielleicht haben Sie ja wirklich noch nie von ihm gehört?«
Ich zuckte erhaben die Achseln.
»Kurz und gut, es gab da einen Psychiater namens Jung. Seine therapeutischen Methoden gründeten auf einem sehr einfachen Prinzip. Er brachte seine Patienten so weit, daß bei ihnen ganz ungezwungen Symbole an die Oberfläche des Bewußtseins traten, anhand deren man eine Diagnose stellen konnte. Indem man sie entschlüsselte, meine ich.«
An dieser Stelle setzte Professor Kanaschnikow ein listiges Lächeln auf.
»Meine Methode sieht nun allerdings ein bißchen anders aus«, sagte er. »Nur das Prinzip ist das gleiche. Nähme man Jung beim Wort, müßte man Sie nämlich in die Schweiz verfrachten, in irgend so ein Alpensanatorium, dort auf die Couch legen, in umständliche Gespräche verwickeln und wer weiß wie lange darauf warten, daß es die Symbole nach oben schwemmt. Das können wir uns nicht leisten. Statt einer Couch haben wir das da«, der
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