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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Name.«
    »Pjotr«, erwiderte ich.
    »Maria«, sagte der junge Mann aus der Wanne am anderen Ende des Raums.
    »Wie bitte?«
    »Maria, Maria«, wiederholte er mit offenkundigem Mißbehagen. »Das ist ein Name. Es gab zum Beispiel einen Schriftsteller, Erich Maria Remarque, kennen Sie den nicht? Nach dem bin ich genannt.«
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Wohl einer von den Neuen?«
    »Außerdem gibt es noch Rainer Maria Rilke. Nie gehört?«
    »Doch, doch, den schon. Kenn ich sogar persönlich.«
    »Sehen Sie, der hieß Rainer Maria, und ich bin einfach Maria.«
    »Sie müssen entschuldigen«, sagte ich, »aber Ihre Stimme kommt mir bekannt vor. Haben Sie nicht diese merkwürdige Geschichte von dem Flugzeug erzählt, von Rußlands alchimistischer Ehe mit dem Westen und so weiter?«
    »Ja«, antwortete Maria, »was fanden Sie daran so merkwürdig?«
    »Eigentlich gar nichts. Ich hatte nur irgendwie angenommen, daß Sie eine Frau sind.«
    »In gewissem Sinne ist das auch richtig«, entgegnete Maria.
    »Wie unser Chef sagt, ist meine Pseudopersönlichkeit unstrittig eine Frau. Sie sind nicht zufällig einer von diesen heterosexuellen Chauvinisten?«
    »Nein, nein«, sagte ich, »mich wundert bloß, daß Sie die Pseudopersönlichkeit so einfach zugeben. Glauben Sie denn selber nicht daran?«
    »Ich glaube an gar nichts«, sagte Maria. »Das kommt bei mir alles von der Gehirnerschütterung. Und hier bin ich bloß wegen der Doktorarbeit, die der Chef schreibt.«
    »Was denn für ein Chef?« fragte ich verwundert, da dieses Wort schon wieder fiel.
    »Professor Kanaschnikow. Der Abteilungsleiter. Er forscht nämlich über Pseudopersönlichkeiten.«
    »Stimmt nicht ganz«, mischte Wolodin sich ein. »Das Thema, an dem er arbeitet, heißt Persönlichkeitsspaltung.
    Maria ist da ein relativ simpler und wenig verzwickter Fall, und überhaupt kann man bei ihm nur unter Vorbehalt von einer Persönlichkeitsspaltung sprechen; dagegen sind Sie, Pjotr, das kostbarste Pferd im Stall. Bei Ihnen ist die Pseudopersönlichkeit so weit und im Detail entwickelt, daß sie Ihre eigentliche fast vollständig verdrängt und überformt. Die Spaltung ist so blitzsauber, daß man seine helle Freude hat.«
    »Alles Quatsch«, meldete sich Serdjuk, der die ganze Zeit geschwiegen hatte. »Bei Pjotr liegt der Fall an sich ganz simpel. Auf struktureller Ebene unterscheidet er sich von Maria fast gar nicht. Der eine identifiziert sich mit nem Vornamen, der andere mit nem Nachnamen. Der Unterschied ist, daß Pjotr stärker verdrängt. Er weiß ja nicht mal mehr seinen richtigen Namen und nennt sich Ernenzoff oder sonstwie.«
    »Wie ist denn mein richtiger Name?« fragte ich, Böses ahnend.
    »Pjotr Pustota«, gab Wolodin Auskunft. »Und Ihre Störung hängt damit zusammen, daß Sie die Existenz Ihrer eigentlichen Persönlichkeit verneinen und durch eine völlig andere ersetzt haben, die von A bis Z erfunden ist.«
    »Trotzdem, strukturell kein komplizierter Fall, ich bleibe dabei«, ergänzte Serdjuk.
    Ich spürte Ärger in mir hochsteigen – daß so ein dahergelaufener Psychopath sich erlaubte, mich als simplen Fall zu klassifizieren, empfand ich als Kränkung.
    »Meine Herren, Sie diskutieren hier wie ein Ärztekollegium«, sagte ich. »Irgendwie dämlich, finden Sie nicht?«
    »Wieso dämlich?«
    »Alles hätte seine Ordnung«, erläuterte ich, »wenn Sie in diesem Haus die weißen Kittel anhätten. Aber wieso belegen Sie ein Bett, wenn Ihr Urteilsvermögen so ungetrübt ist?«
    Wolodin blickte mich ein paar Sekunden wortlos an.
    »Ich bin Opfer eines Unglücksfalls«, sagte er.
    Serdjuk und Maria prusteten vor Lachen.
    »Was mich betrifft«, sagte Serdjuk, »so kann ich mit keiner Pseudopersönlichkeit aufwarten. Gewöhnlicher Suizidversuch plus Alkoholismus. Und festgehalten werde ich hier bloß, weil man mit drei Fällen noch keine Dissertation schreibt. Rein aus statistischen Gründen.«
    »Wart's ab«, sagte Maria. »Du bist auf der Garrotte der Nächste. Wir werden ja hören, was es mit deinem Alkoholsuizid auf sich hat.«
    Inzwischen war ich endgültig zu Eis erstarrt – wobei ich nicht wußte, ob es an der Spritze lag, die, wie Wolodin meinte, meine Umwelt in ein Ekelpaket verwandeln würde, oder ob das Wasser tatsächlich so kalt war.
    Gottlob ging in diesem Moment die Tür auf, und zwei weißbekittelte Männer erschienen. Irgendwie kam ich darauf, daß der eine Sherbunow hieß und der andere Barbolin. Sherbunow hatte eine große Sanduhr in

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