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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Formulierungen waren fett mit Kopierstift unterstrichen. Ich blätterte um. Der nachfolgende Text war mit »Organoleptische Indikationen« überschrieben. In ihm dominierte weitgehend das Lateinische. Hastig blätterte ich weiter. Das mit lila Tinte vollgeschriebene Heft war nicht in den Ordner geheftet – vermutlich war es aus einer anderen Akte eingewandert. Vor dem nächsten, umfänglichsten Teil der Akte kam ein Blatt, auf dem stand:
     
    Petersburger Periode
(Bezeichnet den fixesten der Wahninhalte. Wiederholt hospitalisiert.)
     
    Doch ich kam nicht dazu, auch nur ein Wort aus diesem zweiten Teil der Akte zu lesen. Draußen auf dem Flur erklang die Stimme des Professors, der einem Unbekannten in gereiztem Ton etwas auseinandersetzte. Hastig ordnete ich die Blätter auf dem Tisch ungefähr so, wie sie zuvor gelegen hatten, und stürzte zum Fenster – mir war als erstes die Idee gekommen, mich hinter der Gardine zu verstecken. Sinnlos: Der Stoff lag beinahe glatt an den Scheiben an.
    Kanaschnikows murrende Stimme schien schon ganz in der Nähe der Tür. Offenkundig las er einem der Wärter die Leviten. Ich schlich nach vorn und blickte durchs Schlüsselloch. Zu sehen war niemand – vermutlich standen der Inhaber dieses Kabinetts und sein Gesprächspartner doch noch ein paar Meter weiter, um die Ecke.
    Meine nächsten Handlungen erfolgten einigermaßen instinktiv. Geschwind lief ich aus dem Zimmer, preschte auf Zehenspitzen zu einer gegenüberliegenden Tür und tauchte in die dunkle, staubige Abstellkammer dahinter. All dies gerade noch zur rechten Zeit. Das Gespräch hinter der Ecke brach ab, und keine Sekunde später erschien Professor Kanaschnikow in dem schmalen Abschnitt des Flurs, der durch den Türspalt einzusehen war. Vor sich hin fluchend, verschwand er im Kabinett. Ich zählte bis fünfunddreißig (wieso bis fünfunddreißig, weiß ich nicht – nie zuvor in meinem Leben hatte diese Zahl eine Rolle gespielt), sprang hinaus auf den Gang und huschte geräuschlos zum Schlafsaal.
    Keiner hatte meine Rückkehr bemerkt – der Flur blieb leer, und meine Mitmenschen schliefen. Wenige Minuten, nachdem ich mich ins Bett gelegt hatte, ertönte auf dem Korridor die Weckmelodie; beinahe gleichzeitig kam Barbolin herein und gab bekannt, daß im Schlafsaal heute eine Kakerlakenvertilgung stattfinde und deshalb für diesen Tag ein zweites heilästhetisches Praktikum angesetzt sei.
    Augenscheinlich hält die Atmosphäre eines Irrenhauses den Menschen zur Demut an. Keiner dachte daran zu rebellieren oder nur irgendwie kundzutun, daß es unmöglich war, so viele Male nacheinander Aristoteles zu zeichnen. Einzig Maria brummelte etwas Unwirsches in seinen Bart. Er war schon mit übler Laune aus dem Bett gestiegen, vielleicht hatte er schlecht geträumt – nach dem Wecken ging er gleich zum Spiegel und studierte gründlich sein Gesicht. Es gefiel ihm offenbar nicht so recht, denn er massierte sich einige Minuten lang mit kreisenden Handbewegungen die Haut rings um die Augen.
    Mit großer Verspätung trudelte er dann im Ästhetikzimmer ein und dachte sichtlich nicht daran, Aristoteles zu zeichnen, wie das die übrigen, darunter auch ich, bereits artig taten. Er hockte sich in eine Ecke, wand sich ein gelbes Band um den Kopf, das seine Haarpracht anscheinend gegen einen irgendwo in den Weiten seiner Psyche brausenden Wind schützen sollte, und nahm uns auf eine Weise in Augenschein, als sähe er uns zum erstenmal.
    Über die Windstärke vermag ich nichts zu sagen, fest stand, daß sich düstere Wolken im Raum zusammenbrauten. Wolodin und Serdjuk schenkten Maria keinerlei Beachtung, und auch für mich war es wohl besser, Kinkerlitzchen wie diese einfach zu übersehen. Doch das anhaltende Schweigen bedrückte mich, und ich beschloß, es zu brechen.
    »Sie verzeihen, Herr Serdjuk, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich ein Gespräch mit Ihnen anzuknüpfen versuchte?«
    »Aber woher denn! Tun Sie sich keinen Zwang an«, entgegnete Serdjuk galant.
    »Ich hoffe, die Frage erscheint Ihnen nicht gar zu taktlos, aber wieso sind Sie eigentlich hier?«
    »Wegen Entrücktheit.«
    »Ach was? Kann man deswegen eingeliefert werden?«
    Serdjuk maß mich mit einem langen Blick.
    »Aktenkundig bin ich als suizidal-vagabundierendes Syndrom in Verbindung mit Delirium tremens. Aber keiner weiß, was das ist.«
    »Erzählen Sie doch mal«, bat ich.
    »Was gibt es da groß zu erzählen. Ich hab in einem Keller auf der Nagornoe Chaussee

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