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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Also versuchte ich nunmehr, Wolodins Armklammer um die Brust des mit geschlossenen Augen selig vor sich hin lächelnden Serdjuk zu lösen. Da merkte ich plötzlich, daß Wolodin entsetzt über mich hinwegblickte. Ich drehte den Kopf und sah, wie ein totes Gipsgesicht mit verstaubten Augäpfeln langsam von einem Stuckhimmel voller Fliegen auf mich niedersank.

5
    Die Büste des Aristoteles war das einzige, was ich noch im Gedächtnis hatte, als ich wieder zu mir kam. Nebenbei gesagt, halte ich den Ausdruck »zu sich kommen« für nicht ganz passend. Schon als Kind spürte ich die ihm anhaftende verschämte Zweideutigkeit: Wer kam da wohin? Und vor allem: woher? Eine Mogelei wie im Spielcasino eines Wolgadampfers. Älter werdend, begriff ich, daß »zu sich kommen« in Wirklichkeit bedeutet, zu den anderen zu kommen – denn diese anderen erklären einem von Geburt an, wie man sich am Riemen zu reißen hat, damit man sich in die Form bringt, die ihnen genehm ist.
    Aber das meine ich hier gar nicht, wenn ich sage, daß mir besagter Ausdruck zur Beschreibung meines Zustands nicht ganz passend scheint. Ich erwachte nämlich zunächst nicht richtig, fand mich vielmehr in einem seichten, schwanken Halbschlaf wieder, jener immateriellen Welt an der Schwelle zwischen Traum und Wachsein, die jeder kennt: Alles um einen her scheint aus jäh in Sicht kommenden und wieder entschwindenden Visionen und Gedanken zu bestehen, während die Mitte, man selber, noch fehlt. Für gewöhnlich hat man diesen Zustand schnell hinter sich gebracht, diesmal aber blieb ich einige endlose Sekunden darin stecken; meine Gedanken hielten sich derweil bei Aristoteles auf. Sie waren zusammenhanglos und beinahe ohne allen Sinn. Zwar weckte dieser geistige Urvater des Bolschewismus in mir wenig Sympathien, doch nahm ich ihm das tags zuvor Geschehene nicht weiter übel; offenkundig war seine substantia nicht substantiell genug gewesen, um mir ernsthaften Schaden zuzufügen. Und bemerkenswerterweise fand sich im Halbschlaf der überzeugendste Beweis dafür: Die Büste hatte sich, als sie beim Aufschlag zerschellt war, als hohl erwiesen.
    Fürwahr, dachte ich, hätte mir jemand eine Platonbüste auf den Kopf gehauen, wären die Folgen ungleich schwerwiegender gewesen. An dieser Stelle wurde mir erinnerlich, daß ich einen Kopf hatte. Die letzten Fetzen Schlaf schwebten davon, und alles Weitere lief nach dem üblichen Schema »Mensch erwacht«: Mir wurde klar, daß in dem Kopf dummerweise alle meine Gedanken steckten und daß dieser Kopf unerträglich schmerzte.
    Vorsichtig öffnete ich die Augen.
    Als erstes sah ich Anna, die neben meinem Bett saß. Sie hatte noch nicht bemerkt, daß ich erwacht war, was an ihrer fesselnden Lektüre liegen mochte – sie hielt ein aufgeschlagenes Bändchen Hamsun in Händen. Ein Weilchen nahm ich mir Zeit, sie durch die Wimpern hindurch zu betrachten. Da war nicht viel, was ich meinem ersten Eindruck von ihr hätte hinzufügen können, und Hinzufügungen waren wohl auch nicht vonnöten. Höchstens, daß mir ihre Schönheit, in ihrer gelassenen Vollkommenheit, jetzt noch peinigender erschien. Bekümmert dachte ich daran, daß Frauen von dieser Art, wenn sie sich schon einmal herablassen, einen Mann zu lieben, hierfür entweder einen Handlungsreisenden mit Fliege unter der Nase oder einen cholerischen Major der Artillerie erwählen – dahinter steht der gleiche Automatismus, der in Schulzeiten die schönsten Helenchen dazu anhielt, sich unansehnliche Freundinnen zu suchen. Ausschlaggebend war selbstverständlich nicht der Wunsch, die eigene Schönheit durch den Kontrast herauszustreichen (eine Deutelei auf Buninschem Niveau). Es war vielmehr die reine Barmherzigkeit.
    Einige Veränderungen ließen sich an ihr übrigens doch bemerken. Es mußte am Licht liegen, daß ihre Haare mir noch kürzer und ein wenig blonder vorkamen. Anstelle des dunklen Kleids vom Vortag trug sie ein merkwürdiges, andeutungsweise militärisch wirkendes Kostüm aus schwarzem Rock und weiter sandfarbener Jacke, auf deren Ärmel bunte Reflexe des von der Wasserkaraffe gebrochenen Sonnenlichts spielten; die Karaffe stand auf einem Tisch und der Tisch in einem Zimmer, das ich nie zuvor gesehen hatte. Das Verblüffendste aber war, daß hinter dem Fenster dieses Zimmers Sommer herrschte – durch das Glas konnte man silbergrüne, staubig anmutende Pappelkronen in der Mittagshitze flimmern sehen.
    Das Zimmer erinnerte an ein billiges Provinzhotel:
    Außer

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