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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Aristoteles?« fragte Maria. »Drum guckt der so ernst. Nein, keine Ahnung, warum. Wahrscheinlich haben sie den auf dem Dachboden als erstes gefunden.«
    »Maria, stell dich nicht blöd«, sagte Wolodin. »Du weißt genau, daß hier nichts zufällig passiert. Du hast doch eben erst selber die Dinge beim Namen genannt. Warum sitzen wir alle miteinander in der Klapper? Sie wollen uns hier auf den Boden der Realität zurückbringen. Und diesen Aristoteles zeichnen wir deshalb, weil er es war, der die Realität mitsamt den 600er Mercedessen erfunden hat, in die du so gern entlassen werden möchtest.«
    »Soll das heißen, es hat sie vor ihm nicht gegeben?« fragte Maria.
    »Es hat sie vor ihm nicht gegeben«, erwiderte Wolodin, wie aus der Pistole geschossen.
    »Wie kann das sein?«
    »Das verstehst du nicht«, sagte Wolodin.
    »Dann versuch es mir zu erklären«, sagte Maria. »Vielleicht versteh ich es ja doch.«
    »Gut, dann sag mir, wieso ist dieser Mercedes real?« fragte Wolodin.
    Ein paar Sekunden dachte Maria angestrengt nach.
    »Weil er aus Eisen gemacht ist, darum«, sagte er dann. »Kann man hingehen und anfassen.«
    »Du willst also sagen, daß eine gewisse Substanz, aus der er besteht, ihn real macht?«
    Maria überlegte.
    »So ungefähr«, sagte er.
    »Siehst du, das ist der Grund, weshalb wir den Aristoteles abzeichnen. Vor ihm gab's keine Substanzen«, sagte Wolodin.
    »Und was gab's statt dessen?«
    »Es gab ein oberstes Himmelsmobil, im Vergleich zu dem dein 600er Mercedes ein Scheißding ist. Dieses Himmelsmobil war absolut vollkommen. Und alle Bilder und Begriffe, die man sich zur Automobilität macht, steckten in dem drin. Und die sogenannten realen Autos, die auf den Straßen des Alten Griechenland fuhren, galten als seine unvollkommenen Schatten. Secondhandprojektionen, weiter nichts. Verstehst du?«
    »Verstehe. Und was weiter?«
    »Weiter ist der Aristoteles gekommen und hat gesagt: Leute, daß es das Himmelsobermobil gibt, ist mal klar. Und alle irdischen Kraftfahrzeuge sind selbstredend nur Zerrbilder im lausigen, blinden Spiegel des Seins. Dagegen ließ sich damals nichts sagen. Aber, sagte Aristoteles, außer dem Prototypen und den Zerrbildern gibt's noch was. Das Material nämlich, das die Form des Autos annimmt, die Substanz, die über eine Eigenexistenz verfügt. Das Eisen, wie du dich ausdrückst. Und diese Substanz hat die Welt real gemacht. Mit ihr hat diese ganze beschissene Marktwirtschaft angefangen. Vor ihr waren alle Dinge auf dieser Welt nur Schatten und Bilder, und wie real die sind, kann sich jeder vorstellen. Real ist nur das, was die Bilder hervorbringt.«
    »Na, wissen Sie«, bemerkte ich leise, »das ist noch die große Frage.«
    Wolodin ignorierte meine Worte.
    »Verstanden?« fragte er Maria.
    »Verstanden«, sagte Maria.
    »Was hast du verstanden?«
    »Ich hab verstanden, daß du ein Vollidiot bist. Autos im Alten Griechenland. Da muß man sich doch an den Kopf greifen.«
    »Puh«, sagte Wolodin. »Wie kleinlich und mustergültig. Wenn du so weitermachst, werden Sie dich wirklich bald entlassen.«
    »Geb's Gott«, sagte Maria.
    Serdjuk hob den Kopf und blickte Maria konzentriert ins Gesicht.
    »Weißt du, Maria«, sagte er, »ich finde, du hurst in letzter Zeit ziemlich viel herum. In geistiger Hinsicht, meine ich.«
    »Mann, ich muß hier raus, verstehst du? Ich will hier nicht ein Leben lang versauern. Wer will mich in zehn Jahren noch haben?«
    »Du bist ein Schaf, Maria«, sagte Serdjuk mit Verachtung in der Stimme. »Begreifst du denn nicht, daß du und Arnold … daß eure Liebe nur hier eine Chance hat?«
    »Hüte deine Zunge! Sonst hau ich dir Drecksstück mit der Büste den Schädel ein!«
    »Probier's doch, du Clown«, sagte Serdjuk, der blaß geworden war und jetzt aufstand. »Probier's!«
    »Ich probier's gar nicht erst«, erwiderte Maria und erhob sich gleichfalls, »ich tu's einfach. Wer so was sagt, ist fällig.«
    Er schritt zum Tisch und packte die Büste.
    Alles Weitere war eine Sache von Sekunden. Wolodin und ich sprangen gleichzeitig von den Stühlen. Wolodin schlang von hinten die Arme um Serdjuk, der auf Maria zustürzen wollte. Marias Gesicht war wutverzerrt; er hob die Büste über den Kopf, holte mit ihr aus und lief auf Serdjuk zu. Ich drängte Maria zur Seite und sah im selben Moment, daß Wolodin Serdjuk immer noch festhielt und ihm die Arme einklemmte, wodurch er die Büste im Ernstfall nicht einmal hätte mit den Händen abwehren können.

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