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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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hängen. »Ich hoffe, Sie betrachten es nicht als anstößig, wenn ich hier halbnackt herumliege und mich mit Ihnen unterhalte.«
    »Sie dürfen gar nicht aufstehen.«
    »Aber ich fühle mich prächtig. Ich möchte gern duschen und mich anziehen.«
    »Davon kann keine Rede sein.«
    »Anna, sagen Sie«, bohrte ich weiter, »wenn es stimmt, daß ich eine Schwadron befehlige, dann müßte ich doch eigentlich einen Burschen haben?«
    »Selbstverständlich.«
    »Na, während wir beide hier konversieren, hat der sich doch bestimmt wieder vollaufen lassen wie ein Schwein. Könnten Sie ihn nicht bitte zu mir schicken? Ach, und sagen Sie: Wo ist Tschapajew?«
    Ich hatte ins Schwarze getroffen. Mein Bursche (ein wortkarger, stämmiger, strohblonder Kerl mit langgestrecktem Oberkörper und kurzen, krummen Kavalleristenbeinen – die anatomische Unausgewogenheit legte den Vergleich mit einer Kneifzange nahe) war tatsächlich betrunken. Er brachte mir Kleider: einen graugrünen Uniformrock mit Stehkragen, doch ohne Epauletten (dafür mit einem Aufnäher am Ärmel, der die Verwundung anzeigte), blaue Beinkleider mit doppelter roter Biese sowie ein Paar tadellose halbhohe Stiefel aus weichem Leder. Auf dem Bett verstreut lagen ferner eine zottige schwarze Pelzmütze, ein Säbel mit Gravur (»Pjotr Pustota für besondere Tapferkeit«), ein Pistolenhalfter mit Browning sowie von Ernens Hebammenkoffer, bei dessen Anblick mir beinahe schlecht wurde.
    Der Inhalt des Köfferchens schien vollständig, nur das Kokain in dem Döschen hatte abgenommen. Außerdem entdeckte ich einen kleinen Feldstecher und ein Notizbuch, das zu einem Drittel vollgeschrieben war – die Handschrift zweifellos meine.
    Der größere Teil der Aufzeichnungen war mir ganz unbegreiflich, es ging um Pferde und Heu sowie um Leute, deren Namen mir nichts sagten. Daneben aber stachen mir ein paar Sätze ins Auge, die denen, die ich für gewöhnlich aufzuschreiben pflegte, recht ähnlich waren:
     
    Christentum u.a. Relig. kann man als Zusammenschluß verstreuter Objekte mit best. Energiestrahlg. ansehen. Wie gleißend der Heiland am Kreuz erstrahlt! Wie dumm, das Chr. ein primit. System zu nennen! Im Grunde hat nicht Rasputin, sondern der Rasputinmord Rußland in die Revolution gestürzt.
     
    Oder, zwei Seiten weiter:
     
    Man muß im Leben alle »Errungenschaften« ins Verhältnis zu dem Zeitraum setzen, in welchem sie erzielt werden: Ist dieser Zeitraum unverhältnismäßig lang, hat sich der Sinn vieler solcher Errungenschaften mehr oder minder verflüchtigt; jeder Erfolg (zumindest jeder praktische) ist gleich Null, wenn man ihn an der gesamten Lebenslänge mißt, denn nach dem Tod ist alles bedeutungslos. Nicht die Inschrift an der Decke vergessen.
     
    Was die Inschrift an der Decke betraf, so schien ich sie nun doch unwiderruflich vergessen zu haben. Es hatte Zeiten gegeben, da ich pro Monat ein ganzes Büchlein für derlei Notizen verbrauchte, und jede einzelne erschien in höchstem Maße sinnvoll und gewichtig, so daß ich glaubte, ich würde in Zukunft unbedingt darauf zurückgreifen. Doch dann brach diese Zukunft an, die Notizbücher waren irgendwo, auf der Straße brodelte ein ganz anderes Leben, und am Ende fand ich mich mit einem Revolver in der Manteltasche auf dem klammen Twerskoi-Boulevard wieder. Gut, daß ich wenigstens einen alten Freund getroffen habe! dachte ich.
    Ich zog mich an (der Bursche hatte keine Fußlappen mitgebracht, also mußte ich das Laken in Streifen reißen) und setzte nach einigem Zögern auch die muffig riechende Pelzmütze auf – mein geschorener Kopf schien mir doch sehr verletzlich zu sein. Den Säbel ließ ich auf dem Bett, die Pistole zog ich aus dem Halfter und versenkte sie in der Tasche. Ich mag es nicht, die Leute durch den Anblick einer Waffe zu verschrecken, und aus der Manteltasche hatte man sie ohnehin schneller gezogen. Ich betrachtete mich im Spiegel über dem Waschbecken und war zufrieden – die Mütze verlieh meinem unrasierten Gesicht einen verwegenen Stolz.
    Anna stand am Ende der breiten, einen Halbkreis beschreibenden Treppe, über die ich aus meinem Zimmer nach unten gelangte.
    »Was ist das für ein Gebäude?« fragte ich. »Sieht aus wie ein verlassenes Gutshaus.«
    »Das ist es«, antwortete Anna. »Wir haben hier unseren Stab. Und außerdem wohnen wir hier. Seit Sie die Schwadron übernommen haben, Pjotr, hat sich vieles verändert.«
    »Wo ist denn nun Tschapajew?«
    »Er ist gerade nicht in der

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