Büchners Braut: Roman (German Edition)
wieder um, und die Tür stand auf.
Eine junge Frau, nein, kein Mädchen mehr, steht in der Tür. Hellblaues Kleid, zierlicher Spitzenkragen, aus dem sie entschieden Hals und Kopf in die Höhe streckt.
Monsieur? Sie sieht ihn an. Dunkle Haare, mittig gescheitelt, im Nacken zum Knoten gesteckt. Die Augenbrauen dicht und dunkel wie bei einer Spanierin.
Bonjour, Mademoiselle – Büchner mein Name – äh – Georg Büchner, ich habe die Ehre, erwartet zu werden.
Monsieur Büchner! Ich bin Wilhelmine Jaeglé. Und der gute Edouard?
Sie streifte die rechte Hand an der Schürze ab, wie es die Frauen tun, die von der Hausarbeit aus der Küche kommen, wenn sie den Besuch einlassen. Es war eine einfache Geste. Bei Landmädchen war dies oft zu sehen.
Edouard wird später nachkommen.
So, so, nun denn, treten Sie ein.
Unter seiner hohen Stirn – einer fast lächerlich hohenStirn für so einen jungen Mann – stachen seine grauen Augen in den Hausflur, als ob sie suchten, ängstlich und aufmerksam etwas Bekanntes finden wollten.
Seltsam, dachte Minna. Der Gast zeigte sich so gar nicht in den üblichen Manieren, mit denen man sich bei einem ersten Besuch überschwänglich freundlich gab.
Sie führte ihn weiter, die Treppe hoch.
Wir sind ja verwandt. Sie wissen?
Ihre Füßchen tippelten geschwind nach oben. Zu schnell für eine gewandte Gastgeberin.
Ja, ja, aber wenn ich nur wüsste – diese Tante, von der die Mutter sprach …
Die kindliche Unbefangenheit steckte ihn an, und er nahm hinter ihr zwei Stufen auf einmal.
Überlassen wir es Papa, uns die Verwandtschaft zu erklären. Er ist leider noch beschäftigt.
Sie führte Georg in eine Art kleinen Salon, in dem der Pfarrer seine Besuche empfing. Durchgesessene Stühle, zwei hohe Sessel, ein wuchtiges Kanapee umstanden den Nussbaumtisch. An den Wänden Vitrinen mit Porzellan und Regale mit Büchern. Alles sehr schlicht, ohne Pomp präsentiert, einem Pfarrhaushalt in der Stadt angemessen. Einfache bunte Teppiche auf den Holzdielen, wie man es draußen auf dem Land findet.
Wollen wir einen Tee nehmen vor dem Essen?, fragte Minna.
Ja, gern. Seine Brille setzte er nun ab, wie er es meist in Räumen und in Gesellschaft anderer tat.
Jetzt drängte sich Minnas Bruder Louis-Théodore herein, noch bevor sie dem Gast richtig Platz anbieten konnte, stellte sich vor und fragte nach der Reise. Wie sie war? Angenehm?
Wie eine Reise so ist, sagte Georg. Anstrengend und schmutzig.
Minna lächelte. Da hatte der Gast ihrem Bruder eine kleine Ohrfeige versetzt. Also, Büchner liebte keine Floskeln. Sie ebenso wenig, aber es war nicht leicht, dieses gängige Repertoire von Umgangsformen zu umgehen.
Da sagte sie: Nun ja, die Chausseen verlangen einem viel ab.
Ja.
Jetzt können Sie ausruhen, Monsieur Büchner.
Ja.
Tja, diese Verwandtschaft, setzte Louis-Théodore an. Ich müsste lügen, wenn ich jetzt sagte, ich könnte sie Ihnen erklären.
Dann darfst du es gerne Papa überlassen, parierte Minna ihn aus.
Wolltest du nicht den Tee holen, Minna?
Nein, sagte sie und klingelte nach dem Hausmädchen.
Herrgott noch mal, was reden die, dachte Georg.
Ha, Brüderchen will den Hausherrn spielen, dachte Minna.
Was für ein spitzes Gesicht der Mensch hat, dachte Louis. Wie ein Insekt vor dem Sprung.
Dieses Gesicht hätte Minna gerne mit etwas Muße betrachtet, obwohl, alleine sein mit diesem Mann wollte sie nun auch nicht. Diese schmalen Lippen und die Nase standen so prägnant in dem Jungmännergesicht. Fast noch ein Junge, als hätte er sich erst vor kurzem den Bart herausgeschabt, dass sein Kinn endlich zu der ernsten Stirne passen sollte.
Dann kam Pfarrer Jaeglé, dick, behäbig, beide Hände jedem entgegenstreckend. Edouard war gleichfalls eingetroffen. Man setzte sich zu Tisch. Jaeglés rundes Gesicht strahlte von seinem Platz am Kopfende des Tisches über die Runde, so wie er über seine Gemeinde blickte, wenn er vor dem Altar stand.
Wie geht es in Darmstadt, fragte er, schob seinen breiten Brustkorb Georg entgegen, der ganz klein wurde unter solch einem Vaterbild. Aber der hier besaß eine gütige Wärme. Nicht so wie der Vater in Darmstadt, der permanent Falten auf der Stirn trug und gleich abfragte, was man heute gelernt habe.
Ja, Ihre gute Mutter, lieber Büchner, ich habe sie ja nie zu Gesicht bekommen, kenne sie nur von Edouards Erzählungen … Und Ihr Vater setzt große Hoffnungen auf Ihr Studium in Straßburg.
Auf den Tisch kam die Terrine mit dem Baeckeoffe.
Weitere Kostenlose Bücher