Büchners Braut: Roman (German Edition)
viel von Not reden, wie sie wollte. Eine hübsche Stimme, dachte Georg. Ihre Sicherheit in der Rolle der Hausfrau war zu hören und etwas Kindliches auch. Dabei der streng gezogene Scheitel und die Haare dunkel wie bei einer Spanierin. Sie war drei Jahre älter als Georg und bereits eine junge Frau.
Dann bezog er sein Zimmer. Dieses Zimmer, das er in seinem letzten Brief so beschreiben wird: »Rue St.-Guillaume No. 66, links eine Treppe hoch, in einem etwas überzwergen Zimmer, mit grüner Tapete.«
Dort saß er eine Weile auf dem Bett, besah das Fensterkreuz. Da draußen lag Straßburg und weiter draußen dann Frankreich. Das Land, das gerade den Beweis lieferte, dass unter der Geldaristokratie keinesfalls eine Republik zu erwarten ist, in der Gleichheit und Brüderlichkeit herrschen könnten.
Er streckte sich auf dem Bett aus. Nun innehalten mit dem Nachdenken! Immer nachdenken und grübeln. Lass es, Georg! Dieser Hang zum Denken, Grübeln, dieses innere Reden mit jedem und niemandem, mit Gott und der Welt, das macht mürbe, und du weißt es doch.
Wenn er sich auf den Rücken legte, stießen seine Füße an das Fußende des Bettkastens. Er stemmte die Beine dagegen. Es knarrte.
Ich bin zu groß für das Bett, dachte er. Oder das Bett ist zu klein für mich. Weiß Gott, mag sein, die ganze Welt ist zu klein für mich. Hoffentlich wachse ich nicht noch. Es muss unerträglich sein in einer Welt, in der alles zu klein ist, wenn man über das normale Maß hinauswächst, wie bedrängt man von den kleinen Dingen und Menschen sein muss.
Über sich hinauswachsen, dachte er, und hockte sich mit einem Schwung auf die Bettkante. In einer Woche würde er sich an der Medizinischen Fakultät immatrikulieren. Dann war kein »dolce far niente« mehr! Er lachte und war erstaunt über den leichten Ton seines Lachens. Wie still es war. Aber nein, von unten waren Schritte und Worte in der Diele zu hören.
Georg wollte aufbrechen, in die Stadt gehen. Jemand kam die Treppe hoch, eine Frauenstimme sang:
Aie Bubbaie!
Am Summer geht der Maie.
Wenn andri Maidle danze gehen,
Mueß i bie der Wauje stehn,
Geht die Wauje knick knack,
Schlof, du kleiner Dicksack.
Es war Minnas Stimme. Was haben die Mädchen nur allweil Wiegenlieder im Sinn! Von Jung bis Alt. Erst sehnen sie sich wohl nach dem Kind, dann singen sie an der Wiege, dann denken sie an die Windelkinder zurück, wenn sie keine mehr kriegen.
Jetzt zögerte Georg. Es war ihm oft so, dass er lieber niemandem begegnen wollte, wenn er nicht darauf eingestellt war. War sie nun weg? Kein Schritt auf den Dielen? Endlich nahm er Zylinder und Stock, trat hinaus auf den Flur, zog die Tür leise zu. Der runde Messinggriff gab nur ein schwächliches Knarzen von sich.
Geht die Wauje knick knack …
An wie vieles musste man sich gewöhnen. Jedes kleine Ding war neu hier. In Darmstadt wusste er, ohne zu überlegen, schon als Junge, wie er die Füße auf die Stufen zu setzen hatte, wenn er heimlich und leise das Haus hatte verlassen wollen. Da er aber nicht wusste, was von dieser Treppe in der Rue St.-Guillaume zu erwarten war, musste er sie eben kennenlernen. Er trat auf eine Stufe links und bei der nächsten rechts auf.
Sie müssen sich nicht so bemühen, leise zu sein, lieber Büchner.
Er schaut nach oben. Minna lächelt ihm über die Geländerführung zu. Georg zieht die Schultern gespieltlange hoch, um sich mit einer komödiantischen Note zu retten.
Nun – ich dachte – Vorsicht ist – na ja.
Ich wünsche Ihnen recht viel Spaß heute Abend.
Merci, Mademoiselle … Wilhelmine.
Minna. Man nennt mich Minna. Bonsoir und haben Sie eine gute Nacht.
Bonsoir, Mademoiselle Minna.
Auf der Straße lag ein leichter Nebel in der Luft. Die Dämmerung war nicht weit. Er ging und hörte seinen Schritten auf dem Trottoir zu. Die Richtung war vorgegeben. Zum Quai St.-Thomas No. 13, »Café Faudel«, einfach über die Wilhelmerbrücke, dann links an der Ill entlang Richtung Westen. Er wusste, es gab Freunde hier in Straßburg, frühere Schulkameraden, und die sagten ihm, wo es andere gab, die ihn verstehen würden in den republikanischen Kreisen. Noch war er allein, unsicher. Es wurde ihm kalt. Noch war die Stadt fremd und die Wärme im »Faudel« war rein körperlich.
Angeblich war es in Straßburg nicht schwer, in politisch aktive Kreise hineingezogen zu werden. Beim Betreten des Cafés schlug ihm dichte, verrauchte Luft entgegen. Prompt verspürte er Appetit auf ein Bier. Er setzte
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