Büchners Braut: Roman (German Edition)
2. April 1877
Geehrtester Herr!
In Ihrem geehrten Schreiben vom 17. Februar reden Sie von der moralischen Verpflichtung, die ich habe, durch Mitteilung derjenigen Papiere G. Büchner’s, die in meinen Händen sind, die Herausgabe seiner Werke zu befördern.
Hierauf habe ich die Ehre, Ihnen zu antworten, dass ich durchaus keine moralische Verpflichtung fühle, die besagten Papiere zur Öffentlichkeit zu bringen; teils sind es solche, die nur mich persönlich angehen und die es eine Indiskretion wäre, drucken zu lassen, teils sind es unvollständige Auszüge und unvollendete Notizen. Das Andenken an Georg Büchner ist mir zu teuer, als dass ich wünschen könnte, etwas Unfertiges von ihm der Kritik der Rezensenten auszusetzen. Durch schwere Krankheit verhindert, Ihnen früher zu antworten, musste ich es bis heute aufschieben.
Sie werden mich, geehrter Herr, verpflichten, wenn Sie sich für die Zukunft mit dieser Erklärung genügen lassen wollten.
Hochachtungsvoll zeichnet
L. W. Jaeglé.
Sie faltete den Bogen und versiegelte ihn in einem Kuvert.
So, nun hat dies ein Ende. Franzos’ Anschrift schrieb sie eilig, aber nichtsdestoweniger akkurat. Dann sortierte sie ein letztes Mal alle Briefe und Schriftstücke von Georg. Sie schnürte sie zusammen mit dem Band, welches bisher allein die Briefe gefasst hatte, und daher reichte es gerade auf den letzten Zentimeter für zwei Knötchen. Soll es nun gut sein, sagte sie, und ihr war, als würde er gar nicht zuhören. Saß er nicht im Sessel, zur Seite geneigt mit lax hängenden Händen, sah fiebrig zum Fenster hin?
Wo bist du nur wieder, George?
Sing doch ein Lied, Minna. Du weißt, wie ich es mag.
Ein Lied? Ein Lied, nun denn, aber mir fallen nicht alle Strophen ein. Mir entfällt so vieles.
Minna begann zu summen, legte dabei den geschnürten Packen zurück in die Kommode, nicht, um ihn wiederzufinden, nur um zu wissen, alles war bei ihr, wie all die Jahre.
Ob ich gleich kein’ Schatz mehr hab,
Werd ich einen finden.
Ging die Straßen auf und ab,
Bis zu den Linden.
»Schatz, wo ich gewesen bin,
Kann ich dir wohl sagen:
Bin gewesen in fremdem Land,
Habe viel erfahren.«
»Was du da erfahren hast,
Kannst du mir wohl sagen?«
»Hab erfahren, dass junge Leut
Bei einander schlafen.«
So, weiter weiß ich nicht mehr. Nun wird es kurios still. Auch so eine Wendung von dir. Nun lass mich ruhen.
Die Melodie verfolgte sie noch eine Weile, im Sessel, tief versunken zwischen Wachen und Schlaf, hörte sie aus einem Eck nicht weit von ihr seine junge Männerstimme, die oft nicht zu dem passte, was er gerade sagte. Es war aber nur das Ende der letzten Strophe:
Nun ade, herztausiger Schatz,
Jetzt komm ich nicht wieder.
1880
Er kam oft an den Nachmittagen, sagte: Beste Freundin, setzte sich zu ihr ans Bett, der gute Eugène. Er ist ja mein Arzt, sagte sie dann vor sich hin und fragte ihn, wie spät es sei. Meist sagte er: Es ist gegen zwei Uhr. Oder: Würde sagen, gegen drei. Er nahm es ja nie so genau, der Boeckel. Lebhaft war er noch, dabei war er nur ein Jahr jünger als sie, schwatzte von anderen Patienten, auch wenn er nur noch wenige behandelte.
Unauffällig nahm er ihre Hand, fühlte den Puls, aber sie bemerkte es durchaus, meinte: Dann hören Sie auch gleich das Herz ab.
Sicher, durchaus, und nur nicht zu lange liegen, beste Freundin, und er nahm sein Hörrohr, legte es auf die von ihren nestelnden Fingern freigelegte Haut, in die senkrechten Falten zwischen den Brüsten, über die Saat von bräunlichen Flecken, machte sein gläubigstes Arztgesicht, dem die Diagnose partout nicht abzulesen war. Was sollte schon sein? Es ist wie seit langem. Nichts, nichts Auffälliges, sagte er so auch heute. Und oft bewegen, wenn es möglich ist. An die frische Luft. Sollten Sie nicht unten im Parterre Quartier nehmen? Dann wäre es leichter, nach draußen zu kommen. Denn nur keine Lungenentzündung holen!
Minna winkte mit einer Hand in der Luft, was heißen konnte, so soll es sein, nur zu, oder mir ist es gleich.
Ich weiß doch genau, wie das Herz arbeitet, bemerkte sie dann bestimmt. Die Herzkammern. Der Blutkreislauf.Er hat es mir erklärt. Das Einzige, was er mir von den medizinischen Dingen wirklich erklärt hat. Weiteres dazu wollte auch er nicht sagen, zu einer Frau, die das nicht wissen sollte. Die Körperlichkeit. Welch elende Rücksichten.
Boeckel waren diese Sätze bekannt, und er wie die Schmidts blieb nicht mehr verwundert stumm, wenn Minna
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