Büchners Braut: Roman (German Edition)
grundlegenden Kenntnisse zur Kleinkindererziehung erhalten hat und als »Monitorin« eingewiesen wurde.
Das Leben Minna Jaeglés wird nach Georg Büchners Tod nicht in einer permanenten Tristesse erstarrt sein. Sie hatte, bevor sie Büchner begegnete, ein Leben in einem Pfarrhaushalt geführt, der ihr ein weit größeres Spektrum an Bildung bot, als es allgemein für Mädchen üblich war. Nach den Quellen müssen wir uns Vater Jaeglé als sehr volksnahen und über die Theologie hinaus belesenen Mann vorstellen, der seine Kinder offensichtlich über den Bereich der protestantischen Leitlinien hinaus erziehen wollte. Seine Sympathie für den zukünftigen »revolutionären« Schwiegersohn können wir aus dem Brief des Büchner-Freundes Wilhelm Hoffmann ersehen, der geschrieben hatte, Büchners Tod sei für Pfarrer Jaeglé ein solch schwerer Schlag, dass er ihn »in das Grab führen« könnte. Tatsächlich starb Jaeglé wenige Monate später.
Für all die Unbekannten, die Minnas Leben begleiteten und von denen wir nichts wissen, mögen die fiktiven Personen Jean und die Schülerin Ida stehen.
Zu dem Tag und Nacht verpflichtenden Alltag alsGouvernante konnte ich mir eine Vorstellung aus anderen Lebensberichten bilden. Diese Arbeit scheint Minna nach vier Jahren nicht weiterhin als Broterwerb für sich gesehen zu haben, obgleich sie ideale Voraussetzungen dafür mitbrachte und in diesem Lebensabschnitt viele unverheiratete Frauen diese Einkommensquelle wählten. Vielleicht war die Möglichkeit, im vertrauten Kreis der Familie ihrer Cousine Julie-Pauline eine »école libre de filles« zu führen, verlockender. Hierzu konnte sie den Abschluss einer Mittelschule vorlegen, der mit dem 7. März 1845 datiert ist.
Eventuell hat sie schon davor in ihrer Wohnung unterrichtet, jedenfalls noch vor der in der 2. Republik erforderlichen offiziellen Genehmigung im Sommer 1851: Georgs Bruder Ludwig stattete ihr während seines Wintersemesters 1844/45 Besuche ab und berichtet in Briefen von »den Stühlchen« für die Kinder und über »die Rechenmaschine«, die ihm aus ihrer »behäglichen Wohnung«, zu der eine Wendeltreppe hinaufführte, in Erinnerung geblieben waren.
Hier beginnt das lange gleichförmige Leben, das wir uns schnell als nur langweilig, sogar einsam vorstellen. Die Mär von der zurückgezogenen alten Jungfer schwebt uns vor, da wir nichts Belebendes, keine Gerüchte, keine Anekdoten, keine Pikanterien über sie überliefert bekamen.
Nichts lag mir ferner, als diese Jahre mit künstlicher Spannung zu bereichern, mit erfundenen Begebenheiten auszuschmücken.
Die Bekanntschaft mit den Herweghs in Ostende gilt als wahrscheinlich, da von Caroline Schulz initiiert: »W. Jäglé, die Braut Büchners, ist in Ostende; sucht sie jaauf. Sie ist mein Ideal.« Eine Begegnung mit Friedrich Engels kann zumindest angenommen werden, da dieser dort zur gleichen Zeit Gespräche mit Herwegh führte.
Zum Bruch mit der Familie Büchner kam es durch die Veröffentlichung von Georgs »Brautbriefen« aus den Jahren 1833/34 durch Ludwig Büchner in den »Nachgelassenen Schriften«. Einem wortgetreuen Abdruck hatte sie nie zugestimmt. Dass dies trotzdem geschah, muss sie als ungeheuerlichen Vertrauensbruch und als tiefe Verletzung empfunden haben. Aus diesem Streit ergab sich für die deutsche Literaturwissenschaft ein herber Verlust: Hatte Minna bis dahin tatkräftig und wohlgesonnen alle Veröffentlichungen der Schriften ihres Verlobten unterstützt, hielt sie ab sofort alles zurück, neben weiteren Briefen vermutlich die Originalmanuskripte von »Leonce und Lena« und »Lenz« sowie eine von Caroline Schulz erwähnte Art »Tagebuch«, welches »reiche Gedankenschätze« enthalten haben soll. Die Legende von der halsstarrigen, bigotten Verlobten entstand und wurde durch die Behauptung Ludwig Büchners verstärkt, Minna habe »alles in ihrem Besitz befindliche Manuskript Georg Büchners vernichtet«. Ob dies so war, ist bis heute nicht gesichert.
Es sollte etwas mehr von Minna bleiben als die Geschichte mit dem jungen Mann, der im November 1831 zu Jaeglés ins Haus kam, der tolles Zeug sprach und sich schließlich heimlich mit ihr verlobte. Die Frau, die sich mit Georg Büchner einließ und an der Georg Büchner Gefallen fand, war offensichtlich mutig. Aus allem, was man ihr nachträgt, ist lediglich zu lesen, sie war sehr stolz, wenn es um den Nachlass ihres Verlobten ging,und schützte zu guter Letzt den Rest ihrer liebsten, intimsten
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