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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Klepper
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Name.
    Was soll noch alles kommen? Sie bemerkte nicht, dass sie diese Frage tatsächlich aussprach. Charles sah sie an. Julie zuckte mit dem Mundwinkel.
    Entschuldigt mich, die Gedanken, sagte Minna fahrig.
    Auf die Lehrerinnen kam dann Julie zu sprechen, die ja jetzt an den öffentlichen Schulen geregelte Stunden haben würden.
    Hm, gut, gut, und wenn sie heiraten, müssen sie den Beruf aufgeben. Das sind nun preußische Gesetze. Zu hoch wurde Minnas Stimme, brach im Satz ab. Was sonstnoch käme, hatte ihr Charles schon vor Wochen mit der Umschreibung der »preußischen Schulordnung« angedeutet.
    Was denn noch alles? Schulpflicht ab sechs Jahren für alle Kinder. Die mussten dann an die öffentlichen Einrichtungen. Kein Platz mehr für kleine Privatschulen, schon gar nicht bis zum achten Geburtstag der Kinder.
    Ab wann, Charles? Ist dies nun sicher? Minna packte ihr Schultertuch, ihre Handarbeitsmuster, alles allzu umständlich zusammen, die Nadeln und Fäden hingen kreuz und quer, Stricknadeln kullerten zu Boden.
    Ja, ja, sagte Charles, bückte sich nach den Nadeln, kam langsam wieder empor, vor Minnas kleiner Gestalt gebückt auf Höhe ihrer Augen, der dicken Tränensäcke.
    Ja, vom nächsten Schuljahr an, alle Kinder ab sechs Jahren. Er richtete sich wieder auf. Minna schaute in das Gesicht mit der Brille, auf seine Züge, dachte an den Namen Büchner und: wie er, groß, schmal, hohe Stirn. Mein Gott, was hab ich alles vergessen. George! – Dann gab sie sich einen Ruck, wollte den Tag beenden und wusste nicht, ob sie sich über Ludwig Büchner echauffieren sollte oder über die preußischen Gesetze. Die Nacht würde lang werden. Wenn man wach liegt, dauern die Stunden doppelt.
    Mein ganzes Leben ein einziges Verfolgtwerden von den Büchners! Erst bin ich jahrelang das gute Erinnerungsstück an den verlorenen Sohn, dann die Lieferantin für Briefe, die ihnen seine tiefsten Seelenregungen preisgeben, und Ludwig veröffentlicht sie! Übertreibe ich? – Sich umdrehen, weil die Schultern schmerzen. Die Augen starren in das matte Quadrat des Fensters. DurchkreuzterLichtschimmer. – Muss ich mich denn ärgern! Jetzt noch! Und die Kinder nehmen sie mir weg.
    Nicht alle, die Hälfte der Mädchen bleibt. Die ganz Kleinen. Das heißt Unterricht in den Grundzügen des Schreibens und Rechnens, Häkeln, Stricken, Bibelstunde. Es ist kein gutes Werk, aus Bequemlichkeit die Kinder in der Bibel lesen zu lassen.
    Trotzdem wird sie es weiterhin tun. Aber die Kraft ließ nach, und die jungen Mütter sagten: Mademoiselle Mimi, Sie haben schon so lange Jahre unterrichtet, gönnen Sie sich im Alter Ruhe.
    Alter? Vierundsechzig, ja, das ist alt.
    Es gab zu viele Sachen, Nippes, Papiere, Dokumente. Dabei war doch im Krieg einiges verlorengegangen. Und wieder alles voll. Minna kramte, schaute oft auf die Uhr, da sie leicht die Zeit vergaß. Ein Tag war so kurz geworden und die Nächte zu lang. Hier die Vergissmeinnichtornamente, die ihr einige Mädchen geschenkt hatten, runde Papierbögen, darauf im Kreis Papierblütenblätter angeordnet. Diese wurden zur Hälfte angeklebt und umgeknickt, um darunter schöne Erinnerungen aufzuschreiben. Oft kurze Worte in ungelenken, fast unleserlichen Buchstaben. Ein Mädchen hatte auf die Rückseite geschrieben: ich wünsche Mad. Mimi ein langes Leben. Ida. – Die Ida mit der schmutzigen Schürze, vom Kohlenstaub. Eine, die Minna nie vergessen hatte.

1877
    Sie musterte den Brief erst einige Augenblicke, nachdem Charles ihn ihr aus der Tagespost überreicht hatte. Fragend hielt sie ihn weg von sich, hob das Lorgnon an die Augen, entzifferte die Anschrift. An Mad. W. Jaeglé. Doch, für sie. Da es wenige gab, zumal außerhalb Straßburgs, die ihr noch Briefe schrieben, lag über diesem der Hauch von Unangenehmem, und die Abwehr gegen alles Neue und Fremde hatte sich in den Jahren in ihr verhaftet. Die Schmerzen im Rücken zwangen sie, sich langsam in ihrem Sessel niederzulassen.
    Eine gleichförmige, aber energische Schrift forderte sie auf, die Güte zu haben, ihm, einem Herrn Franzos aus Wien, der sich als Zeitungsschreiber vorstellte, Abschriften aller Schriftstücke aus der Hand ihres verstorbenen Verlobten Georg Büchner zu überlassen oder ihm gar diese zur besseren Bewahrung und Nutzung zu übergeben. Von einer moralischen Verpflichtung schrieb er, diese Schriften einem öffentlichen Kreis zugänglich zu machen.
    Alles an ihr schien ihr mit einem Mal zu eng, das Korsett, der Kragen, die

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