Buerger, ohne Arbeit
Zugangsrechte zu Ämtern und Positionen; Einkommen und Besitz sowie die sozialen Grundlagen der Selbstachtung. 348
Ein Recht auf Arbeit wird nicht formuliert. Einkommen, Besitz und Selbstachtung, sofern daran gebunden, hingen insofern am
Erfolg bzw. Mißerfolg der freien Berufswahl, es sei denn, sie gründeten in einem Recht auf Leben. Und in der Tat gehört die
Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bürger zu den Wesensgehalten dieser Konstruktion. 349 Ihre Idealform verlangt weit mehr: »Jeder sollte den gleichen Anteil bekommen.« 350 Daß die Beiträge der einzelnen bei der Schaffung des gesellschaftlichen Reichtums unterschiedlich ausfallen, berührt ihren
gleichen Wert und Anspruch als Bürger der Gesellschaft in keiner Weise. Sie unterscheiden sich in ihren Gaben und Talenten,
aber diese Verteilung ist keine Naturtatsache, sondern der persönlichen Aneignung von Wissen und Kultur unter Zufallsbedingungen
geschuldet, und auf das Los der Geburt lassen sich die sozialen |304| Rechte der Menschen nicht zurückführen. Die Güterverteilung, wie sie aus den vielen kleinen Spielen und Spielzügen z. B. des
Marktes hervorgeht, muß sich an diesem hohen Maßstab messen lassen; weicht sie in einer das zukünftige Zusammenwirken unterhöhlenden
Weise davon ab, obliegt es der gemeinschaftlich eingesetzten Autorität, für nachträglichen Ausgleich zu sorgen.
Abweichungen vom Gleichheitsgrundsatz unterstehen ihrerseits dem Gleichheitsgebot, so will es Rawls’ berühmte Formel: »Soziale
und ökonomische Ungleichheiten müssen zwei Bedingungen erfüllen: erstens müssen sie mit Ämtern und Positionen verbunden sein,
die allen unter Bedingungen fairer Chancengleichheit offenstehen, und zweitens müssen sie sich zum größtmöglichen Vorteil
für die am wenigsten begünstigten Gesellschaftsmitglieder auswirken.« 351 – Was die allerneueste Gerechtigkeitstheorie bekämpft, sind die Konsequenzen, die sich an die zweite Bedingung knüpfen. Wer
in ein politisches Amt gelangt, das seinem Inhaber außergewöhnliche gesetzgeberische Machtchancen offeriert, muß es zugunsten
der sozial am meisten Benachteiligten ausüben. Wer eine wirtschaftliche Position mit herausgehobenen ökonomischen Machtchancen
erklimmt, muß davon in derselben Weise Gebrauch machen oder zu einem solchen Gebrauch von den Inhabern politischer Ämter angehalten
werden. Der eine mag seine ganzen Einkünfte verzehren, der andere davon sparen als Investor in spe, das geht die Gerechtigkeit
nichts an. Der reich Gewordene, der rastlos spekuliert, wo er investieren könnte, mißbraucht seine Freiheit ebenso wie der
Politiker, der ihn gewähren läßt, seine Macht.
5. Grundgüter, Ausgleich zufälliger Verteilungen durch das Gebot der Hintergrundgerechtigkeit (§ 35.7), Ungleichheit im Auftrag
größerer Gleichheit: Wem genau dient diese nachtragende Gerechtigkeit, dem Bürger oder dem Menschen? Oder dem Dritten, in
dem beide historisch übereinkommen, Mensch und Bürger, sofern sie Arbeiter sind, Arbeitende? »Alle müssen faire Chancen gehabt
haben, |305| etwas zu verdienen…«; 352 ruht das Ausgleichsprinzip DARIN? Aber was geschieht mit jenen, denen sich diese Chance gar nicht bot? Rawls handelt ausschließlich
vom Bürger, von den Bedürfnissen, die er als solcher hat, von dem, »was Bürger brauchen«, um sozial ausgewogen und langfristig
miteinander kooperieren zu können. Würde der »Mensch« geringere Ansprüche erheben, rein existentielle, die das pure Leben
sichern? Oder höhere, maßlosere, weil er seinen Anspruch auf Unterhalt auch dann verteidigt, wenn er als Bürger-Arbeiter rein
gar nichts gibt? – Offene Fragen, vertrackte, vertraute: Meint »Kooperation« ausschließlich die Einbindung der einzelnen in
die Berufswelt oder »kooperiert« auch, wer außerhalb dieses Rahmens handelt und tätig ist? Begründet bloßes Dasein in der
Welt ein Menschenrecht mit bürgerlichen Folgen, oder folgt das Sein dem Bürger, der seinerseits aus der Schale des Arbeiters
schlüpft? – Die nachtragende Gerechtigkeit spricht sich darüber nirgends unzweideutig aus, aber es scheint, sie hält es –
letztlich – mit der Arbeit. 353
6. Das zweite Verfahren zur Austreibung des Feudalismus aus der modernen Welt praktiziert VORBEUGENDE Gerechtigkeit. Es nivelliert
herkunftsbedingte Gefälle, EHE sie sich verfestigen und von einer Generation auf die nächste übertragen werden können, packt
das Problem der
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