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Bullenhitze

Bullenhitze

Titel: Bullenhitze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias P. Gibert
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Seniorenwelle des regionalen Radiosenders. Der Bauarbeiter hatte sich bei seinem Chef für die Woche freigenommen, um Zeit für die Vorbereitung der Beerdigung zu haben. Noch immer spukte in seinem Kopf die Szene herum, als der Bestatter in seinem Badezimmer zusammengebrochen war, und noch immer fragte er sich, wieso sich der Mann gerade bei ihm hatte übergeben müssen. Und dann sterben.
    Brandau mochte es, wenn die Dinge ihren Routinen folgten. Alles, was abseits davon lag, war nicht sein Ding. Der Tod seiner Frau war in seinen Augen genug Abseits gewesen für die nächste Zeit. Eigentlich für die nächsten Jahre. Irgendwann hatte er in der Zeitung, die die Kollegen gerne im Bauwagen liegen ließen, gelesen, dass Frauen statistisch ein paar Jahre länger lebten als Männer. Abends hatte er mit einer Flasche Bier in der Hand seiner Frau vor dem Fernseher vorgerechnet, dass sie ihn, weil sie obendrein jünger war als er, um mindestens neun Jahre überleben würde. Diese Rechnung und deren vermeintliche Auswirkungen waren ihm praktisch in Fleisch und Blut übergegangen, und so war es umso überraschender für ihn, dass seine Hannelore nun tot war.
    Am Vorabend, während des Tatorts im Fernsehen, hatte er kurz darüber nachgedacht, dass ihm ihr Tod eigentlich gar nicht viel ausmachte. Sie war tot, er lebte, so war das nun. Und insgeheim war er wütend auf sie, dass sie ihn mit diesem ganzen Krempel allein gelassen hatte. Beerdigung, Trauerfeier, Leichenschmaus, Einladungen. Wen würde er einladen müssen von den Nachbarn oder der Verwandtschaft? Freunde im eigentlichen Sinn hatten sie beide nicht, weil Horst Brandau das Zusammensein mit anderen Menschen nicht so sehr mochte. ›Lass mich zufrieden damit‹, hatte er immer wieder zu ihr gesagt, wenn sie angeregt hatte, doch mal zu einer Familienfeier zu gehen, oder irgendwohin zum Essen. ›Wir haben hier alles, was wir brauchen‹, war sein Argument gewesen, wenn sie von Urlaub oder wenigstens einem verlängerten Wochenende an der Ostsee angefangen hatte.
    Und nun war sie tot, und er konnte nicht trauern, weil er nicht traurig war. Seit ihm klargeworden war, dass sie nie mehr nach Hause kommen, nie mehr etwas zu essen kochen, und dass sie ihn nie mehr mit ihren glupschigen Rehaugen ansehen würde, hatte er auf die Trauer gewartet. Vergeblich.
     
    Er stand auf, schaltete das Radio aus, schlüpfte in seine Hausschuhe und schlurfte in die Küche. Dort setzte er einen Kessel mit Wasser auf und nahm anschließend Kurs aufs Bad. Doch als er die Tür nur einen kleinen Spalt geöffnet hatte, bereute er, nicht gleich am Vortag die Kotze des toten Bestatters beseitigt zu haben. Die seitdem vergangene Zeit und die Wärme der Heizungsluft hatten dafür gesorgt, dass das Zeug beinahe wieder zum Leben erweckt worden war. Es stank abscheulich. Und wieder wurde Brandau wütend. Wütend, dass dieser Idiot ausgerechnet in sein Bad gereihert hatte, und dass er die Sauerei nun beseitigen musste.
    Putzen war nie seine große Stärke gewesen, das hatte immer Hannelore erledigt. Putzen und kochen. Mit hochgezogenen Nasenflügeln hob er einen Eimer in die Badewanne und öffnete den Wasserhahn. In diesem Moment klingelte es. Brandau drehte den Hahn zu, stellte den Eimer in die Wanne, warf einen Blick in den schmierigen Spiegel, verließ das Badezimmer und drückte auf den Türöffner. Ein paar Sekunden später erschien ein groß gewachsener, grauhaariger Mann auf der Treppe und sah sich suchend um.
    »Wollen Sie zu mir?«, fragte Brandau mürrisch durch den Spalt in der halb geöffneten Tür.
    »Wenn Sie Herr Horst Brandau sind, dann ja.«
    »Und was wollen Sie?« Die Stimme des Bauarbeiters klang ebenso gereizt wie genervt.
    »Mein Name ist Setafilo«, erwiderte der Besucher freundlich mit leichtem italienischen Akzent und trat dicht an die Tür, »ich komme vom Bestattungsinstitut Schrick. Es geht um die Beerdigung Ihrer leider viel zu früh verstorbenen Frau.«
    »Aber das macht doch die andere Firma. Die wollten sich um alles kümmern.«
    »Das weiß ich, Herr Brandau. Allerdings ist ja gestern der Chef des Hauses ganz plötzlich verstorben, wie mir zu Ohren gekommen ist. Und die Firma Wohlrabe hat bestimmt andere Sorgen, als sich um die Beerdigung Ihrer Frau zu kümmern. Da ging es ja schon zu normalen Zeiten mehr drunter und drüber, als man sich das vorstellen kann. Und jetzt, nachdem der Chef tot ist? Das wollen wir uns doch lieber nicht vorstellen müssen.«
    Brandau sah den Mann

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