Bullet Catcher: Jack (German Edition)
beginnen?«
Higgie setzte sein Strahlemann-Gesicht auf und musterte Jack. Zweifellos machte er sich gerade ein Bild von dem Mann, den Lucy ihm als Ghostwriter besorgt hatte.
Jack nickte kaum merklich.
Komm schon, Jack! Tu wenigstens so, als ob. Lucy strich ihm in stummer Unterstützung über die Hand.
»Möchten Sie ihn hören?«, fragte der Richter Jack.
»Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.«
Nur jemand, der Jack sehr gut kannte, würde den Sarkasmus in seinem Tonfall hören. Oder jemand, der sein Leben lang andere Menschen beurteilt hatte.
»Justitia ist, wie Sie wissen, blind«, sagte Higgins. »Als ich nun gestern Abend im Bett lag und in Samuel Butlers Satire Hudibras blätterte, kam mir die Idee für den Titel: Blind den Schwachen zugeneigt. Ich hab ihn aus meiner Lieblingszeile abgeleitet: ›Zwar malt man die Justiz als blind, allein sie ist denn so gesinnt, dass sie wie die Barmherzigkeit sich neiget auf die schwache Seit‹.«
»Aha?«, fragte Jack mit kaum hörbarem, provokantem Unterton. Lucy wusste, dass die Skepsis nicht dem Samuel-Butler-Zitat galt. Lagen Sie wirklich im Bett und haben gelesen, oder waren Sie unterwegs, um Prostituierte zu ermorden?
»Zweifeln Sie daran, ob ich den Schwachen zugeneigt bin?« Higgie kippte den Kopf zur Seite, als würde er über die Frage nachdenken. »Das wird die Geschichte zeigen. Und nach unseren gemeinsamen Gesprächen können Sie es vielleicht auch selbst beurteilen, Mr Fuller.«
Eine Millisekunde lang dachte Lucy, sie wären aufgeflogen. Vielleicht lag es an dem steifen Tonfall, den er benutzte, oder dem wissenden Glimmen in seinen Augen. Entweder es war einfach seine Masche, oder … er wusste mehr über das, was sie vorhatten, als sie ahnten.
Jack war regelmäßig bei Eileen im Gefängnis gewesen. Wenn Higgins Eileens Besucher überwachte, war es gut möglich, dass er wusste, dass Jack Fuller in Wahrheit Jack Culver war. Ob er auch Fotos von Jack hatte?
Marilee blickte über Lucys Schulter, und plötzlich hellte sich ihr Blick auf. »Seht mal, wer da ist. Meine liebste Freundin.«
Lucy wandte sich um, um den neuen Gast zu begrüßen, und sah, wie Marilee auf eine schwergewichtige Frau weit über sechzig zueilte.
»Higgie, unsere liebe Bernie ist da.«
Die Frau trat zögernd ein, als wäre sie eingeschüchtert von all dem Prunk und Reichtum.
»Hallo, Richter Higgins«, sagte sie leise. »Schön, Sie zu sehen.«
»Bernadette«, erwiderte er, streckte die Arme aus und schüttelte den Kopf. »Wenn ich aus diesem verdammten Stuhl aufstehen könnte, würde ich Sie in den Arm nehmen. Es tut mir so leid, was passiert ist.«
Die Angesprochene schloss ihre leblosen Augen, die vom gleichen Braun waren wie ihr Haar. »Zumindest ist niemand verletzt worden. Das muss man wohl als Wunder betrachten.«
Marilee stellte sie einander vor. »Bernie, das ist die Chefin unserer Sicherheitsfirma, Lucy Sharpe, und ihr Freund, Jack Fuller. Er wird Spessard bei seinen Memoiren als Ghostwriter unterstützen.«
Lucy trat vor, um der Frau die Hand zu schütteln. »Bernadette.«
»Bernadette und ich sind seit unserer Kindheit engste Freundinnen«, beeilte sich Marilee zu erklären. »Wir kennen einander seit der Grundschule.«
Die andere Frau lächelte matt und schüttelte erst Lucy und dann Jack die Hand. »So was in der Art. Nett, Sie kennenzulernen.« Sie strahlte eine Traurigkeit aus, die an krankhafte Depression grenzte.
»Bernie hat gerade eine unfassbare Tragödie erlebt«, erklärte Marilee, an Lucy und Jack gewandt. »Ihre Wohnung in Charleston ist gestern ausgebrannt. Haben Sie von dem Feuer in der King Street gehört?«
»Ja«, sagte Lucy, ohne Jack anzusehen. Sie spürte, dass er plötzlich von Kopf bis Fuß unter Strom stand. »Haben Sie da gewohnt?«
»Ich lebe in Virginia«, sagte Bernie. »Aber ich habe die Wohnung schon seit Ewigkeiten, und Marilee und Spessard nutzen sie, wenn sie in der Stadt sind und keine Lust mehr haben, spät noch hier herauszufahren.«
Das erklärte einiges.
»Waren Sie da, als es passierte?«, fragte Jack.
»Nein, zum Glück nicht. Es war niemand in der Wohnung, und es wurde im ganzen Haus auch niemand verletzt. Aber ich musste von Roanoke herkommen, um mit der Polizei und den Versicherungsleuten zu reden.«
Jemand war in der Wohnung gewesen, dachte Lucy, ohne den Blick von Bernadette zu nehmen. Und Roanoke, Virginia? War da nicht Kristen Carpenter aufgewachsen?
»Tut mir leid, das zu hören«, sagte Lucy und
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