Bullet Catcher: Wade (German Edition)
brach, und sie verfluchte sich im Stillen dafür.
Wade hörte aufmerksam zu, ohne eine Miene zu verziehen, und das war wesentlich tröstlicher, als wenn er ihr die Hand getätschelt oder beständig versichert hätte, wie unsinnig es sei, sich selbst die Schuld zu geben – so wie andere, denen sie diese Geschichte schon erzählt hatte.
»In der Nacht stand ich also auf und wollte zu ihr, weil ich sicher war, dass ich sie trösten könnte. Ich wollte ihre Tränen trocknen – dabei schien es immer noch schlimmer mit ihr zu sein, wenn ich in der Nähe war. Ich stand vor der Schlafzimmertür und hörte, wie sie meinen Vater vollheulte. Dann sagte sie: ›Wenn ich nicht irgend so ein Balg aufgezogen hätte, das du auf der Straße aufgelesen hast, hätte ich jetzt eine richtige Tochter.‹«
»So hast du erfahren, dass du adoptiert warst?«
Vanessa schüttelte den Kopf. »Ich wusste es schon sehr früh. Meine Mutter ließ keine Gelegenheit aus, mich daran zu erinnern, dass wir nicht vom selben Blut waren. Aber der Satz hat mich tief getroffen. Wenn es mich nicht gäbe, hätte sie eine richtige Tochter. Ein Kind, das leben würde, wenn ich nicht gewesen wäre.«
Er nahm zärtlich ihre Hand. »Lass es nicht zu, dass dieser Moment dein Leben bestimmt, Vanessa. Er ist nur eine böse Erinnerung.«
»Aber er hat mich geprägt. Ich habe dieses Baby getötet – das Kind, das eine Schwester und eine ›richtige‹ Tochter für meine Mutter hätte werden sollen. Von da an wollte ich niemanden mehr sehen, schon gar nicht meine Mutter. Da fing ich an, diese hier zu tragen … « Sie fasste an ihre Brille. »Und mir das Haar ins Gesicht fallen zu lassen.«
»Du wolltest dich verstecken.«
»Ich blieb für mich, bis sich meine Eltern rund sechs Jahre später schließlich scheiden ließen. Mein Dad kam auf die Idee, nach meiner leiblichen Mutter zu suchen. Ich denke, er hoffte, mich so aus meinem Kokon zu befreien.« Sie stieß ein verbittertes Lachen aus. »Leider hatte es den gegenteiligen Effekt. Es war nicht gerade förderlich für mein Selbstvertrauen, zu erfahren, dass meine Mutter kaltblütig eine Frau erschossen hat. Da hab ich mich sogar noch mehr versteckt.«
»Aber was hat sich seither verändert? Auf mich wirkst du sehr selbstbewusst.«
Jetzt musste sie lächeln. »Ich habe eben gelernt, zurechtzukommen; und mit meinem Vater als Vorbild habe ich beruflich viel erreicht. Ich habe viel Geld verdient und ein paar wenige Freunde gewonnen. Doch als mein Dad umkam, war der einzige Verwandte, der mich je in den Arm genommen hat … tja, ich … « Sie seufzte. Den Gedanken an Familie hatte sie längst aufgegeben. »Ich stürzte mich eben in die Arbeit.«
»Aber was hält dich davon ab, deine leibliche Mutter und deine beiden Schwestern kennenzulernen?«
»Du kannst das nicht verstehen – du mit deiner Mom und deinen Schwestern. Für dich ist nicht nachvollziehbar, was es heißt, wenn man das Gefühl hat, solche Familienbande gar nicht zu verdienen .«
»Du hast das Gefühl, du verdienst keine Liebe?«
Sie nahm ihr Glas und schenkte ihm ein knappes Lächeln. »Ich … ach, ich weiß auch nicht.« Sie blinzelte gegen die unwillkommene Feuchte in ihren Augen an.
»Das Gefühl kenne ich.« Er senkte den Blick. »Ich habe so einen Kampf auch ausgestanden.«
»Oh! Hallo!« Die fröhliche junge Stimme war so nah, dass Vanessa erschrocken zusammenzuckte. Die Unterbrechung dieses vertraulichen Moments kam so abrupt, dass sie fast schmerzte.
»Kennst du mich noch? Aus dem Papaya’s? Sarah?« Die Brünette zeigte Wade ihr schneeweißes Gebiss. »Hast du deinen Freund gefunden?«
Vanessa legte ihre Serviette auf den Tisch. Ihre Hände zitterten, als sie ihren Stuhl zurückschob. »Entschuldigst du mich bitte für einen Moment?«
Wade warf ihr einen misstrauischen Blick zu, ohne die junge Frau zu beachten, die ihn angesprochen hatte. »Nicht wieder durch das Fenster türmen, ja?«, bat er leise.
»Nein«, versicherte sie ihm. »Ich bin gleich wieder da.«
Vanessa hastete zur Damentoilette, die über den menschenleeren Vorraum zu erreichen war, in der Hoffnung, eine Tür hinter sich schließen zu können, ehe ihr die Tränen aus den Augen quollen.
In der leeren Toilette angekommen, stürmte sie sofort in die nächste Kabine und drückte ihr Gesicht gegen das kühle Metall der Tür. Sie hörte, wie sich die Außentür öffnete, ohne dass Absätze klapperten oder jemand eine Nachbarkabine betrat.
War Wade ihr gefolgt, um
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