Bullet Catcher: Wade (German Edition)
wollte Clive finden, zurück in ihre vertraute Umgebung nach New York, zurück in die bequeme Überschaubarkeit ihres Büros bei Razor Partners. Vielleicht könnte sie dort, in dem schützenden Kokon, den sie um sich gebildet hatte, nachdem ihre Mutter sich aus dem Staub gemacht hatte und ihr Vater getötet worden war, in aller Ruhe überlegen, wie sie vorgehen sollte. Aber nicht hier, wo sie der erbarmungslosen Sonne ebenso hilflos ausgesetzt war wie diesem erbarmungslosen Kerl, der einen eigenen Plan verfolgte.
Der Wodka lief wie eine Träne an ihrem Schenkel entlang.
»Würden Sie mich bitte entschuldigen?«, sagte sie so ruhig, als säße sie in einer Übernahmeverhandlung und hätte gerade beschlossen, ihre Strategie zu wechseln. »Ich würde mir das gern abwaschen.«
»Klar. Ich bestelle Ihnen einen neuen.«
»Danke«, erwiderte sie und griff nach dem Schulterriemen ihrer Handtasche.
Wade stand auf und deutete auf den hinteren Bereich des Restaurants. »Ich werde auf Sie warten.«
Er blieb so lange stehen, bis sie gegangen war. Ein echter Südstaaten-Gentleman. Superattraktiv, superhöflich und im Gepäck jede Menge Neuigkeiten, auf die sie liebend gern verzichtet hätte.
Sie ging um die Theke herum und sah den Barmann fragend an. »Die Toiletten?«
Er deutete mit dem Daumen in einen Flur hinter der Theke. In dem schwach beleuchteten Durchgang war es wesentlich kühler als draußen. Als sie den Türknauf ergriff, spürte sie, wie eine schweißfeuchte Hand sie am Oberarm packte und sie herumriss, sodass sie vor Schreck aufkeuchte.
Beinahe rechnete sie damit, in kristallblaue Augen zu sehen, doch der Blick, der sie traf, war dunkel und blutunterlaufen und maß sie aus tief liegenden Höhlen.
»Was wollen Sie?«, fragte sie und entwand sich dem kraftlosen Griff des dünnen jungen Latinos.
»Für Sie.« Er drückte ihr ein mehrfach gefaltetes Stück Papier in die Hand. »Von einem Freund von Clive«, sagte er und verschwand hinaus ins Sonnenlicht. Zurück blieb der Geruch von Haschisch.
Mit klopfendem Herzen drehte sie den Zettel in der Hand. Ein Freund von Clive?
Sie drückte die WC -Tür mit der Schulter auf und betrat einen schmuddeligen Raum mit einer gelb verkrusteten Toilettenschüssel und einem billigen Waschbecken. Einzige Lichtquelle war ein Außenfenster über dem Becken. Nachdem sie die Tür verriegelt hatte, faltete sie das Papier auf.
Der Mann, den du suchst, ist auf Nevis .
Nevis? Clive war auf Nevis? Das war wie weit entfernt – vielleicht sieben Meilen? Mehrere Teilnehmer ihrer Kreuzfahrt hatten heute die Fähre genommen, um von St. Kitts aus die Nachbarinsel zu besuchen.
Wer hatte ihr diese Nachricht geschickt?
Und – viel wichtiger noch – sollte sie darauf eingehen? Hatte sie überhaupt genügend Zeit, um eine weitere Insel zu besuchen, ehe das Schiff wieder ablegte?
Um die Kreuzfahrt ging es ihr ohnehin nicht. Die war ihr so was von egal. Sie wollte nur Clive finden, jetzt, da sie plötzlich selbst im Schlamassel steckte, dringender denn je. Er würde diese Geschichte sicherlich mit einer lässigen Handbewegung beiseiteschieben. Darin war er richtig gut. Zumindest solange er sein Zoloft nahm.
Sobald sie Clive gefunden hätte, würde sie ihn aus seiner wie auch immer gearteten Lebenskrise oder gescheiterten Liebesaffäre retten, und dann würde er ihr bei ihrem Problem helfen. Er würde wissen, wie sie dieser Wendung ihres Schicksals begegnen sollte.
Ihr Hirn raste, während sie ihre nächsten Schritte plante.
Sie könnte zurück zum Schiff rennen, schnell eine Tasche packen und nach Nevis übersetzen. Nachdem sie Clive gefunden hätte, könnte sie ihre Sachen nach New York zurückschicken lassen, oder – falls es sich nur um ein oder zwei Tage handelte – sie würden einfach dem Schiff zum nächsten Etappenhafen folgen.
Ja – das war ein realistischer Plan. Nevis war eine Miniinsel, und die Schwulenszene war dort mit Sicherheit ziemlich überschaubar. Es würde nicht lange dauern, Clive ausfindig zu machen.
Sie betastete das Papier. Der Mann, den du suchst, ist auf Nevis .
Zwei kryptische Botschaften an einem Tag. Diese hier und: Nimm dich in 8!
Welcher sollte sie glauben? Der von Clives Handy oder der, die aus dem Nichts gekommen war? Und was war mit dem Fremden, der da draußen auf sie wartete und ihr die schlimmste aller Neuigkeiten überbracht hatte?
Wenn sie zu viel Zeit mit Wade Cordell verbrachte, würde er sie irgendwann mit seinen unglaublich blauen
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