Bullet Catcher: Wade (German Edition)
hatte sich als willkürlicher Gewaltakt, als unfassbare und unerklärliche Brutalität dargestellt. Vanessa hatte damals vermutet, Clive habe sich deswegen Hals über Kopf freigenommen – um auf seine Art die Geschehnisse zu verarbeiten. Möglicherweise war das sogar, so hatte sie gemutmaßt, ein Auslöser für eine erneute depressive Episode gewesen.
Clive hatte die Kollegin wesentlich besser gekannt als Vanessa; er hatte sie angeleitet, als sie in die Hedgefonds-Abteilung kam, und mehrere Deals mit ihr zusammen abgeschlossen.
Vanessa wollte nicht glauben, dass er sie ermordet haben könnte. Clive war nicht imstande, jemanden umzubringen.
Aber warum versteckte er sich dann? Wieso hatte er ein blutverschmiertes T-Shirt in seiner offenbar hastig verlassenen Ferienvilla, und was hatte das alles mit der Zeitungsmeldung über den Tod eines Mannes zu tun, den er einmal geliebt hatte? Und warum um alles in der Welt ging er voll wie eine Haubitze in eine Bar und heulte dort herum, dass er an Charlies Tod schuld sei?
Wer hatte ihr Zimmer verwanzt und versucht, sie von der Straße zu drängen, wer hatte sie kreuz und quer über die Insel geschickt? Clive etwa? War es möglich, dass er all das inszenierte, um sie dazu zu bringen, heimzukehren?
Wade beendete sein Gespräch und steuerte auf sie zu, wobei er sein T-Shirt über den Kopf zog und über den völlig verdreckten Baumwollshorts seinen Oberkörper offenbarte, der modelliert war wie eine Skulptur von Michelangelo. Bei dem Anblick erwachten schlagartig alle ihre erschöpften Sinne wieder zum Leben.
Er ließ das T-Shirt in den Sand fallen und blieb vor ihr stehen, als Schatten vor den letzten Sonnenstrahlen. »Ich habe dafür gesorgt, dass Lucy richtig Gas gibt. Da laufen jetzt zusätzliche Ermittlungen und Recherchen. Sie ist sich sicher, dass wir den Anruf spätestens morgen früh lokalisiert haben.«
»Super.«
»Und falls es dich interessiert«, er setzte sich neben sie, und die weichen Härchen an seinem Bein kitzelten sie, »Eileen Stafford liegt immer noch im Koma.«
Es interessierte sie nicht. Sie rückte von ihm ab und rieb sich die Schläfen. »Ich habe Kopfschmerzen.«
»Du hast Hunger. Komm, wir suchen etwas zu essen.«
»Na dann viel Glück. Ich hab schon in der Küche nachgesehen.« Sie ließ zu, dass er ihr auf die Beine half. »Wenn du was gegen Campbell-Tomatensuppe, extrabreite Eiernudeln oder gebuttertes Popcorn für die Mikrowelle hast, gibt’s ein Problem.«
Er zuckte die Achseln. »Ich habe mich schon mit viel schlimmerem Zeug über Wasser gehalten; das hatte acht Beine und biss zurück.«
»Igitt!«
»Nun bist du endlich mal ein Mädchen.« Er lächelte sie so herzerwärmend an, dass sie ganz vergaß, beleidigt zu sein. »Aber du vergisst die Gaben der Natur.« Er legte ihr die Hände auf die Schultern und schob sie die Treppe hoch. »Mit den Früchten, die hier wachsen, würden wir tagelang auskommen. Komm, wir gehen ernten.«
Sie ließ sich von ihm führen, weil sie unglaublich müde war, weil die Vorstellung von frischem Obst verlockend war und seine Hände sich stark und sicher anfühlten. Oben angekommen zog er sie zu einem ausladenden Baum, der über und über mit rotgoldenen Früchten behangen war.
»Bist du allergisch gegen Mangos?«
»Ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt schon mal eine gegessen habe – zumindest nicht direkt vom Baum.«
»Die sind ein Genuss. Aber viele Menschen reagieren allergisch auf die Haut. Wir machen einen Test.« Er pflückte eine pralle Frucht von einem der unteren Äste. »Gib mir mal dein Handgelenk.«
Sie hielt ihm ihren Arm hin.
»Die Reaktion kommt sofort«, sagte er und rieb die von der Sonne warme Frucht über ihre Haut.
»Was passiert denn, wenn ich allergisch bin?«
»Die Reaktionen sind unterschiedlich. Manche bekommen einen leichten Ausschlag. Andere werden verrückt.«
Sie blinzelte ihn an. »Verrückt?«
»Aber nur ganz schwere Fälle.« Das leise Zwinkern in seinen Augen verriet ihr ziemlich zuverlässig, dass er nur scherzte.
»Wie verrückt?« Sie drehte ihren Unterarm, der unverändert aussah – und sehr zart in Wades großer Hand.
»So verrückt, dass sie Dinge tun, die sie noch nie getan haben.«
Der dunkle, sinnliche Klang seiner Stimme fuhr ihr direkt in den Unterleib. »Wie zum Beispiel?«
»Wie zum Beispiel ins Haus gehen, einen Korb oder eine Schüssel holen und mir helfen, Mangos für ein Picknick am Strand zu pflücken.«
Sie lachte leise. »Das ist doch
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