Bullet Catcher: Wade (German Edition)
Boden fiel. »Ich würde davon Heimweh bekommen und depressiv werden.«
»Du bist witzig, wenn du depressiv bist.«
Die Bemerkung fühlte sich an wie ein Schlag ins Gesicht. »Ach ja?«
»Wenn du leidest.«
Clive starrte sein Gegenüber an, die Gabel regungslos vor sich in der Luft. »Wirklich?«
»Ja, aber mach dir keine Gedanken. Ich mag das, wenn du deprimiert bist. Alle mögen das.«
Außer Vanessa. War sie der einzige wahre Freund, den er hatte? War sie die einzige Person in seinem Leben, die sich nicht auf seine depressiven Phasen freute, um sich an seinem hämisch-verbitterten Sarkasmus zu ergötzen?
Ja,dachteerundschobdenerstenBissenindenMund.SiehatteesimmerwiederaufsNeuebewiesen,dasssieeinewahreFreundinwar.GanzimGegensatzzudemMann,derihmgegenübersaßundihnnurfürseineeigenenZweckemissbrauchte.
Vanessas Liebe war aufrichtig – er war es ihr schuldig, diese Liebe zu erwidern. Er musste sie irgendwie erreichen. Ihr sagen, dass sie aufhören sollte, nach ihm zu suchen. Er würde sie überzeugen, dass dies das Leben war, das er sich wünschte. Er würde ihr nie die Wahrheit über Charlie erzählen, und Russells Geschichte würde sie vermutlich nie erfahren. Aber wenn ihn jemand erkannte … wenn er gefasst wurde, war es aus mit ihm. Dann würde ihn dieser Mann hier nicht länger beschützen.
Ganz vorsichtig schob er das Handy bis zu seinen Knöcheln und kickte es mit dem nackten Fuß weit unter den Tisch. Ja. Für Vanessas Freundschaft würde er die Gefahr auf sich nehmen. Das würde auch die Last der Schuldgefühle ein wenig abmildern.
»Woran denkst du, mein Freund?«
Clive schluckte und lächelte. »Wie verdammt gut dieses Zeug schmeckt.«
Sie konnte Wade bis hierher riechen.
SelbstausmehrerenMeternEntfernungundobwohldietropischeBrisedensalzigenDuftdesMeeresundexotischerFrüchtemitsichtrug,nahmVanessaseinenGeruchauf – eineMischungausSchweißundErdeundeinemletztenHauchvonSeife.
Er roch wie ein Mann, der gerade einen Jeep aus einem Graben geschoben und vergeblich versucht hatte, ihn zu starten, der in sengender Hitze eine Meile weit marschiert war, um ein Taxi aufzugabeln, der auf die Schnelle einen neuen Mietwagen besorgt hatte und wie ein Berserker damit zur Rennbahn gerast war, wo dreihundert verrückte Einheimische Bier tranken, Hühnchen aßen und dabei auf zweitklassige Galopper wetteten – der Besucherströme und Imbissstände nach einem Mann abgesucht hatte, der nicht da war, um schließlich zum entgegengesetzten Ende der Insel zu fahren und in einem Hotel nach einem Gast zu fahnden, welcher, wie sich herausstellte, nie dort gewohnt hatte, unter keinem der Namen, die sie kannten.
Kein Wunder, dass sie ihn riechen konnte. Bei ihr selbst war es vermutlich nicht anders.
Vanessa hockte auf der untersten Stufe der wackeligen Treppe, die von der Terrasse zum Strand hinunterführte, das Kinn auf den Knien, die Arme um die Beine geschlungen, und ließ den karibischen Sonnenuntergang mit seinem Panorama, seinen Geräuschen und Düften auf sich wirken. Sie wurde geplagt von schlechtem Gewissen, Sorge, Verwirrung, und obendrein – um die ganze Sache noch komplizierter zu machen – fühlte sie sich wider Willen zu Wade hingezogen.
Wade stapfte vor ihren Augen in der Gischt hin und her und telefonierte dabei mit einer Frau namens Luce. Seine dunkle, ruhige Stimme drang über den sechs Meter breiten Sandstreifen zu ihr herauf, sodass sie zumindest Fetzen des Gesprächs verfolgen konnte.
Er sprach über Clive, Russell Winslow und Charlie French. Sogar Nicholas Vex erwähnte er. Nachdem er den ganzen Tag lang seinen unglaublichen Körper geschunden und mit seinem scharfen Verstand versucht hatte, ihr Problem zu lösen, erbat er jetzt Hilfe bei dieser Frau, die, wie er erzählt hatte, eine Sicherheitsfirma leitete und über sensationelle technologische Ressourcen verfügte, sowie über ein Team herausragender Männer und Frauen, die damit umzugehen verstanden.
Er hatte eine Vereinbarung getroffen und bemühte sich nun, seinen Teil zu erfüllen. Offenbar war er ein Mann, der zu seinem Wort stand. Ebenso würde er von ihr erwarten, dass sie das ihre hielt. Sie krallte ihre nackten Zehen in den warmen Sand und blickte zum kobaltblauen Horizont, wo die Sonne wie ein überdimensionales Orangensorbet ins Wasser schmolz. Ihre Gedanken wanderten zurück zu dem seltsamen Umstand, dass Charlotte French kurz vor Clives Verschwinden gestorben war.
Der Mord an Charlie, der jetzt einen Monat zurücklag,
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