Bullet Catcher: Wade (German Edition)
nichts Verrücktes. Meinst du vielleicht, ich hätte noch nie am Strand gepicknickt?«
»Nicht mit mir.« Er rieb ihr Kinn mit seinem Daumen, eine zärtliche Geste, die sie förmlich eine Etage tiefer in den weichen Boden sinken ließ. Dann nahm er ihre Hand und hob ihren Arm in das nachlassende Tageslicht, um die Haut zu inspizieren. Eine Sekunde lang dachte sie, er würde sie vielleicht küssen und hielt erwartungsvoll den Atem an.
»Kein Ausschlag. Sieht so aus, als könntest du hemmungslos in Mangos schwelgen.«
Sie entzog sich seiner Hand, ehe sie hemmungslos etwas anderes tat, wie zum Beispiel ihr Handgelenk auf seinen Mund zu pressen, um ihn dazu zu bringen, die Stelle zu küssen, die er gerade untersucht hatte. »Ich gehe eine Schüssel holen.«
Über die knarrenden Holzdielen stapfte sie zum Haus zurück. Die Stelle an ihrem Arm prickelte immer noch warm. Sie hatte also doch eine Reaktion gezeigt – allerdings nicht auf die Mango, sondern auf Wade.
Vor ihr lag eine lange Nacht, ein heißer Typ und ein einziges Bett. Vorfreude und Erregung machten sich in ihr breit. Er war kein Heiliger, sondern durch und durch menschlich – das hatte er schon gezeigt.
Wie gern würde sie ihn noch einmal von seiner menschlichsten Seite sehen.
Sie ging ins Badezimmer und sah sich im Spiegel an. Ihr Haar war strähnig und verfilzt, ihr Gesicht von der Sonne gerötet und schmutzverkrustet. Ihr Top war seit der Rennbahn völlig verdreckt, und ihre Augen blickten ihr aus dunklen Höhlen müde entgegen.
Sie nahm die Brille ab, fasste sich an die Wange, die sich rau und sandig anfühlte, und versuchte, sich durch seine Augen zu sehen. So wie sie war.
Laut, ungestüm. Ein Finanzhai, nein, – Barrakuda von der Wall Street. Immer einen Fluch auf den Lippen und augenblicklich vor Schmutz starrend.
Na ja, zumindest gegen den Schmutz konnte sie etwas unternehmen.
Sie warf sich etwas Wasser ins Gesicht und schäumte dann ein Seifenstück auf. An Schminken war jetzt nicht zu denken, aber die Dreckkruste konnte sie entfernen.
Wahrscheinlich roch sie ebenso übel wie er. Sie rieb sich ein wenig Seifenwasser unter die Achseln und suchte dann vergeblich nach einem Handtuch. Ihr Blick fiel schließlich auf einen kleinen Einbauschrank, der tatsächlich Handtücher enthielt, dazu ein paar Apothekerfläschchen mit verschreibungspflichtigen Medikamenten, einen Föhn, Shampoo und ein paar Cremedosen.
Als sie sich ein Handtuch nahm, stieß sie gegen das Shampoo. Die Flasche kippte gegen die Arzneien, die klappernd zu Boden fielen.
»Verdammter Mist«, murmelte sie, tupfte sich die Augen trocken und schob die Plastikbehälter zusammen. »Es gibt doch nichts Schöneres, als den Arzneischrank deines Gastgebers zu durchwühlen.«
Vanessa stellte die Fläschchen wieder in den Schrank zurück und entdeckte dann neben dem Abfalleimer eines, das ihr zuvor entgangen war. Als sie es aufhob, bemerkte sie sofort das Logo von Duane Reade, der Apothekenkette, die jedem New Yorker ein Begriff war. Neugierig, in welcher Filiale Nicholas Vex wohl seine Medizin kaufte, suchte sie auf dem Etikett die Adresse. Oh – das war genau die, wo auch sie immer einkaufte, in der Nähe des Broadway und …
Sertralin 50 mg. Als Ersatz für Zoloft.
Himmel . Nahm heutzutage eigentlich jeder dieses Zeug? Sie hob ihren Daumen, um den Patientennamen zu lesen. Und erstarrte. Zwinkernd versuchte sie, zu begreifen, was sie da las. Doch es gelang ihr nicht.
Clive Easterbrook.
Das Fläschchen fest in der Hand rannte sie los, um es Wade zu zeigen.
14
Zwei Meter über der Erde in der Krone eines Papaya-Baums hängend hörte Wade Vanessa verzweifelt seinen Namen rufen. Er ließ die Frucht, die er soeben gepflückt hatte, in den Sand fallen und kletterte den Stamm hinunter. »Ich bin hier. Was ist los?«
Sie wirbelte zu ihm herum, die Arme ausgestreckt und mit funkelnden Augen. »Hier, schau dir das an!«
»Hast du doch einen Ausschlag bekommen?«
»Clives Antidepressivum – mit seinem Namen drauf. Ich hab’s hier im Bad gefunden!«
Wade wischte sich die Hände ab, bevor er die kleine Arzneiflasche nahm. »Im Ernst?« Er las das Etikett, stellte fest, dass das Medikament vor zwei Monaten verschrieben worden war, und öffnete dann die Flasche, um hineinzuschauen und die Pillen kurz zu überschlagen. »Der Behälter ist für sechzig Tabletten, drin sind aber höchstens noch dreißig.«
»Wie kann das sein?«, fragte sie und schlug sich mit der Hand gegen den Kopf,
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