Burnout vorbeugen und heilen
selten genauso erreicht werden können, wie wir sie uns vorgestellt haben. Fantasien und Ideale helfen uns dabei, uns vorwärts und in die gewünschte Richtung zu bewegen. Die zugelassene Enttäuschung hilft uns dabei, uns zu erden.
Wenn Menschen keine Fantasien mehr entwickeln, weil sie sich vor einer möglichen Enttäuschung fürchten, werden sie im Endeffekt trotzdem enttäuscht sein, weil sie sich als trockene oder verbitterte Realisten auch nicht wohlfühlen. Verlieren sich Menschen in ihren Fantasien, werden sie auch enttäuscht sein, weil sie als Fantasten keinen Fuß auf den Boden bekommen.
Im Zusammenbruch höre ich Menschen häufig sagen: „Das Kartenhaus ist zusammengefallen“, „Mir ist der Boden unter den Füßen weggezogen worden“, „Ich fühle mich am Boden zerstört“ oder „Ich bin auf dem Boden der Tatsachen angekommen“. Interessanterweise sagen sie es, obgleich sie noch nicht wissen, was sie sagen ...
Das zusammengebrochene Kartenhaus steht gewöhnlich als Bild dafür, dass die Fantasien sich als nicht realitätstauglich erwiesen haben. Der unter den Füßen weggezogene Boden steht in der Regel dafür, dass jemand seine Fantasien mit der Realität gleichgesetzt oder verwechselt hat und dass jetzt diese Täuschung zusammenbricht. Meist haben Betroffene Angst davor, noch tiefer zu fallen; und doch ist genau dies nötig, um auf dem Boden der Tatsachen anzukommen. Eine Möglichkeit, um nicht so hart wie befürchtet aufzukommen und sich nicht zu verletzen, ist z. B., sich abzuseilen.
„Ich fühle mich am Boden zerstört“ steht in der Regel dafür, dass jemand auf dem Boden der Tatsachen angekommen ist, sich dabei aber (zunächst) zerstört und verletzt fühlt. „Ich bin auf dem Boden der Tatsachen angekommen“ hingegen steht in der Regel dafür, dass jemand die Realität annimmt, wie sie ist, und seine Fantasien und Ideale weiterentwickelt.
Die Kunst eines lebendigen Lebens besteht darin, mit beiden Füßen fest auf dem Boden zu stehen, schwungvoll darauf zuzugehen und dabei – aufrechten und erhobenen Hauptes – Horizont sowie Himmel gut im Blick zu haben.
Gekränkt, verletzt und beleidigt fühlen sich Menschen in dem Moment, in dem sie es nicht schaffen, sich an Stellen, wo Enttäuschungen auftreten, die Realität einzugestehen. Solche Gefühle würde ich an dieser Stelle als Ersatzgefühle bezeichnen.
Abbildung 3-12: Begeisterung und Enttäuschung, ein Ausdruck lebendiger Auseinandersetzung mit sich selbst, anderen und der Welt (© Schneider 2013)
3.14.6 Hintergrundgefühle
Als Hintergrundgefühle bezeichnen wir Gefühle wie „Ermüdung, Energie, Aufregung, Wohlsein, Krankheit, Spannung, Entspannung, Elan, Lethargie, Stabilität, Instabilität, Gleichgewicht, Ungleichgewicht, Harmonie, Dissonanz“ (Damasio 2000, S. 343). Hintergrundgefühle zeigen die Gesamtverfassung eines Menschen an. Stimmungen entstehen aus dem Zusammenwirken der Hintergrundgefühle und den anderen ursprünglichen Gefühlen und Ersatzgefühlen. Wir erkennen Hintergrundgefühle insbesondere „an der Körperhaltung, dem Tempo und der Ausrichtung unserer Bewegungen und sogar am Tonfall und dem Sprachrhythmus bei der Mitteilung von Gedanken“ (Damasio 2000, S. 343), an der Mimik und der Gestik.
3.14.7 Souveränität
Ich fasse die oben beschriebenen Grundprinzipien bezüglich der Gefühle in einem einfachen pragmatischen Modell zusammen ( siehe Abb. 3-13 ):
Abbildung 3-13 : Souveränität (© Schneider 2013)
Unser Organismus reagiert auf bestimmte innere und äußere Reize mit einer ersten inneren Reaktion, bestehend aus Körperempfindungen, Gefühlen, Gedanken und Handlungsimpulsen. Wir haben die Möglichkeit, die Wahrnehmung dieser ursprünglichen Reaktionen zu schulen, diese einzuschätzen und dann zu entscheiden, wie wir diese Empfindungen in eine gerichtete Handlung umsetzen. Je besser wir uns Bewusstheit schaffen können, umso besser können wir uns auch von Reizen abschirmen und distanzieren (Grenzfunktion). Empfinden, Fühlen, Denken und Handeln können wir dann voneinander unterscheiden und füreinander nutzbar machen. An den Stellen, wo wir es schaffen, uns bewusst mit unseren ersten Reaktionen (Empfindungen, Gefühlen, Gedanken, Impulsen) wahrzunehmen, diese einzuschätzen und zu entscheiden wie wir handeln, fühlen wir uns gut und souverän [19] .
„Das Bewusstsein macht Gefühle der Erkenntnis zugänglich und unterstützt damit die innere Wirkung von Emotionen. Es versetzt diese in die
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