Bußestunde
nachdrückliches »Ja!« als Antwort. Er schickt die knappe SMS ab, während er sich erhebt, streicht sanft über sein weiches Amulett in der anderen Tasche und denkt, während er sich auf seinen stolpernden, schmerzerfüllten Spaziergang zurück zum Söder-Krankenhaus macht: Die Stunde des Umbruchs?
Dann denkt er: Ja, Arto, natürlich ist es so. Natürlich gibt es eine Stunde des Umbruchs.
Und damit verlassen wir ihn. Ein weiterer Mensch weckt noch unsere beharrliche Aufmerksamkeit, und das ist in einem ganz anderen Teil der Stadt. Wir heben von der deutlich sichtbaren Hubschrauberplattform des Söder-Krankenhauses ab, bewegen uns von dort in nördlicher Richtung über ganz Södermalm, über Slussen und quer über Gamla Stan, vom Binnensee zum Meer und weiter von Strömmen bis zur Meerenge Nybroviken über die Landzunge Blasieholmen. Und von da geht es durch Östermalm, bis zu einer noch vor Kurzem landesweit bekannten, inzwischen stillgelegten norwegischen Ölbank in der Nähe des Karlaplan, die vor einigen Jahren eine merkwürdige Geiselnahme erlebte, inklusive Evakuierung und Stürmung. Jetzt steht dort ein Obst- und Gemüseladen, und die Zeit vergeht so schnell, dass sich niemand mehr an die dramatischen Tage zu erinnern scheint, niemand außer einer blonden Frau, die allein in einem Straßencafé gegenüber des Östra-Reals-Gymnasiums sitzt. Tatsache ist, dass ihr Blick fest auf die ehemalige Bank gerichtet ist, quer durch das Grün des Mittelgangs in dem ursprünglichen Esplanadensystem. Vielleicht sollte er ganz woandershin gerichtet sein, wie es auch ihre Absicht gewesen war, als sie sich hier niederließ, in dem Café mit Schwedens allerhöchster Promidichte. Vielleicht ist sie auch nur, wie sie sich einredet, einfach vorbeigekommen und hat völlig unerwartet im Café Foam auf den angesagtesten paar Hundert Metern von Karlavägen einen unbesetzten Tisch im Freien entdeckt.
Sie hat auch schon ein paar Promis gesehen, vielleicht nicht gerade die heißesten, aber immerhin Leute, die sie aus dem Fernsehen kennt. Natürlich ist sie nicht hergekommen, um Promis anzugaffen. So tief ist sie nicht gesunken. Aber sie muss zugeben, dass sie sich wohl doch hier befindet, weil die Klientel stimmt. Die richtigen Männer eben. Die richtigen Männer für sie.
Das ist Lena Lindbergs Erkenntnis nach einem gut dreißigjährigen Singledasein – mit einer einjährigen Ausnahme, auf die sie nicht so begeistert zurückblickt. Das Jahr mit Geir, der einmal Sicherheitschef der Bank dort drüben auf der anderen Seite von Karlavägen war. Das war ein dunkles Jahr, und sie suchte das Dunkle, zusammen mit Geir. Aber es war nicht das Richtige, so fühlte es sich nicht an. Sie ist nicht die, die sie geglaubt hatte, die sie gefürchtet hatte zu sein. Ihre Aggressionen waren nicht dieser Art. Sie konnte sie nicht in einer sadomasochistischen Klubwelt ausleben, wo sie sich zwar austobte, sich aber nie wirklich zu Hause fühlte. Die Erkenntnis, zu der sie gelangte, war, dass weibliche Aggression genauso normal ist wie männliche und dass Gewalt für Frauen wie für Männer ein paradoxer Ausweg sein kann. Weibliche Gewalt richtet sich keineswegs nur nach innen, wie das Klischee behauptet, sie kann sich ebenso gut nach außen richten. Mädchengangs, die in der Stadt ihr Unwesen treiben, und Frauen, die Männer misshandeln – oder einander –, werden immer häufiger. Vielleicht kann man es Entwicklung nennen.
Aber Lena Lindberg selbst sieht es nicht so. Sie hat ihren Anteil an Gewalt gehabt – auch, wie sie zu ihrer Schande gestehen muss, im Dienst –, und jetzt reicht es ihr. Sie sucht einen normalen, aber eleganten – und, ja, nach Möglichkeit gut betuchten – Mann. Im letzten Jahr war hier Ebbe, wenn auch nicht gänzlich Flaute herrschte. Sie hat es immer noch drauf, Männer aufzureißen.
Es ist klar, dass man an einem so sonderbar stillstehenden Sonntagnachmittag in einem Café, so trendy es auch sein mag, nicht einfach so jemanden aufreißen kann, aber vielleicht lässt sich der eine oder andere Kontakt herstellen, der sich als nützlich erweisen könnte.
Keiner in ihrem Bekanntenkreis ist mehr Single. Sie ist sozusagen übrig geblieben. Und das macht keinen Spaß. Aber hat es das Alleinsein je gemacht? War es nicht einfach nur – bequem? Vielleicht. Aber warum nicht? Doch auch das hat seine Zeit, und die ist jetzt abgelaufen. Sie will einfach nicht ganz allein den Herbst durchfrieren. Sie will sich irgendwo
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