Bußestunde
starb Bengt Åkesson. Ganz plötzlich. Völlig unerwartet. Und ihr gesamtes Dasein wurde in Stücke gerissen. Sie konnte nicht mit Paul sprechen. Sie entglitten einander wieder. Sie konnte eigentlich mit niemandem darüber sprechen, über das seltsame Vakuum, das nach Bengts Tod entstand. Als habe eine höhere Macht sie ganz bewusst zum Schweigen bringen wollen – oder ihr etwas sagen wollen.
Aber sie redet mit seinem Grab darüber. Hier, einen Meter davon entfernt, auf den Knien und den Blick zum Himmel gerichtet. Sie spricht mit ihren Tränen darüber. Und sie glaubt, dass das Grab ihr antwortet.
Sie trauert um ihr Leben.
Und da verlassen wir Kerstin Holm, deren Gesicht auf der Lichtung zwischen den Bäumen zum Himmel gerichtet ist, und fahren auf der E 4 nach Süden, bis sie zum Essingeleden wird, der in einer kurzen Brücke über den Mälarsee endet, wo wir an eine Ausfahrt nach Hornsplan und Lindhagensplan gelangen und die E 4 verlassen. Wir folgen der Straße in Richtung Marieberg und auf die Västerbro und über Långholmen und schauen hinunter auf eine merkwürdige Oase inmitten des Verkehrslärms auf der Södermalm-Seite der Västerbro. Da steht ein Tisch, eine große Anzahl von Tischen wird sichtbar, gerahmt von Grün. Und dort sitzt ein Mann, ein dunkelblonder Mann in einem T-Shirt und in den besten Jahren, einem Mann gegenüber, der ihm ziemlich ähnlich, aber rund zwanzig Jahre jünger ist.
Paul Hjelm sitzt im Restaurant Lasse i Parken im Freien und unterhält sich mit seinem Sohn Danne. Danne will Polizist werden, und sie haben sich gerade ausgesprochen. So kommt es ihnen auf jeden Fall vor. Es gibt nichts mehr zu sagen. Paul hat nicht ausdrücklich gesagt, dass er das für eine saublöde Berufswahl hält – denn das findet er eigentlich gar nicht –, aber er hat ein wenig zu deutlich seine Skepsis zum Ausdruck gebracht.
Sie sehen sich nicht mehr häufig, und ihr Verhältnis ist ein wenig angespannt. Paul ist der Meinung, dass er in Dannes Argumenten zu viele feste Überzeugungen all der jüngeren Polizeiaspiranten wiedererkennt, die ihm über die Jahre hinweg begegnet sind und die noch keine gebrannten Kinder und deshalb von der Realität noch nicht verbittert waren. Diejenigen, die es geschafft haben, aus ihren Erfahrungen zu lernen und sogar mit den Jahren klügere und besonnenere Menschen zu werden, sind in der Minderzahl.
Hat er selbst das geschafft? Weil der Anblick Dannes zwangsläufig dazu führt, dass er an sich selbst im gleichen Alter denken muss, stellt sich diese Frage mit einer gewissen Selbstverständlichkeit. Vielleicht hat er das trotz allem. Vielleicht hat Paul Hjelm es geschafft, den drohenden Untiefen der Bitterkeit und der Lebensenttäuschung auszuweichen. In seinen besten Stunden glaubt er das – auch wenn ihm die Einsamkeit jetzt richtig schwer zusetzt. Natürlich gibt es Augenblicke, in denen er sich ausgebrannt fühlt, natürlich kommt manchmal die Bitterkeit in ihm hoch. Aber sie frisst ihn nicht auf. Oder hat sie vielleicht im letzten halben Jahr damit angefangen?
Es hatte wirklich den Anschein gehabt, als sei er auf dem Weg, einen wesentlichen Wandel in seinem Leben zu vollziehen. Er war Kerstin Holm wieder nahegekommen, nach so langer Zeit, und sie waren gemeinsam unterwegs gewesen, wohin auch immer. Nur Freundschaft zwar, aber es hatte sich gut angefühlt.
Und dann starb Bengt Åkesson und nahm alle Hoffnungen mit ins Grab.
Paul und Kerstin wohnen jetzt beide am Hornstull, im alten Knivsöder. Nur ein paar Hundert Meter liegen zwischen Kerstins neuer Dreizimmerwohnung in der Heleneborgsgatan und Pauls verspeckter alter Junggesellen-Einzimmerwohnung in der Slipgatan. Aber sie sehen sich nicht mehr. Sie haben sogar aufgehört, sich zufällig im Vivo-Supermarkt an der U-Bahn-Station Hornstull über den Weg zu laufen. Es ist, als mieden sie einander.
Jetzt wieder.
Er spürt, dass er nicht in ihre Trauerhölle eindringen darf – oder was es auch ist: Schuldgefühle, Depression, Angst, Lähmung der Handlungskraft.
Bis vor einem Jahr hatte ihm die vollständige Freiheit des Junggesellendaseins zugesagt. Nicht zuletzt übers Internet traf er eine Reihe von Frauen, die sich ebenso wenig binden wollten wie er. Aber das letzte halbe Jahr ist nicht gut gewesen, das ganze Sommerhalbjahr – wenn man es noch so nennen kann – ist eine rastlose Zeit gewesen, als habe er plötzlich angefangen, auf etwas zu warten. Er kann es selbst nicht richtig formulieren. Es ist zu
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