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Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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ausrauben«, antwortet er unwirsch. »Die Polizei tut ja nichts dagegen. Wenn man in diesem Land Gerechtigkeit will, muss man sie in die eigene Hand nehmen.«
    Lena Lindberg denkt über die ausgefallene sprachliche Konstruktion nach und sagt dann langsam: »Diesmal wird sie etwas tun. Das verspreche ich Ihnen.«
    Sie sehen sich in die Augen. Der Blick des Ladeninhabers flackert nicht mehr. Dann nickt der Mann langsam.
    »Okay«, sagt er. »Ich mache Ihnen eine Kopie von der Videodatei.«
    »Gut«, entgegnet sie. »Aber rühren Sie nichts an, bevor die Spurensicherung dagewesen ist. Kommen Sie mit nach draußen.«
    Sie treten hinaus auf die Jungfrugatan. Der Streifenwagen kommt gerade zurück. Einer der Streifenpolizisten streckt den Kopf aus dem heruntergelassenen Fenster auf der Beifahrerseite und sagt: »Keine Spur von ihm. Sorry. Er muss es zur U-Bahn hinunter geschafft haben.«
    In dem Moment, als ihr Handy klingelt, begegnet ihr Blick dem des Ladeninhabers. Er ist sehr dunkel. Am Telefon teilt der Leiter der Kriminaltechniker ihr mit, dass ein Team auf dem Weg sei und in ein paar Minuten eintreffen dürfte.
    »Rührt jetzt nichts an, zum Teufel«, ist das Letzte, was sie von ihm hört, ehe sie ihn wegklickt.
    Lena Lindberg sieht sich um und denkt, dass der Sonntag eine ganz andere Wendung genommen hat, als sie es sich vorgestellt hatte. Aber nicht notwendigerweise zum Schlechteren. Dies hier nahm sich nachgerade wie ein Fall aus. Beinahe ein richtig echter Fall.
    Die Stunde des Umbruchs ist vorüber. Die Zeit hat sich gehäutet.
    Als sie das Gesicht zum klarblauen Himmel hebt und ein paar tiefe Atemzüge macht, spürt sie, dass es ernstlich Herbst geworden ist in Stockholm.

2
    »Thinspiration«, las er und versuchte zu verstehen, was er las. Es gelang ihm nicht. Es war zu unwahrscheinlich. Was ging heutzutage alles vor, von dem er nicht den geringsten Schimmer hatte?
    Zwischen den Symbolen in der oberen rechten Ecke des Bildschirms befand sich eine Buchstaben- und Ziffernkombination, die sich mit beunruhigender Geschwindigkeit veränderte. Jetzt stand dort »Montag 08.47«. Auch das gefiel ihm nicht. Es stahl Zeit.
    Es stahl Zeit von »thinspiration« und »Pro-Ana«.
    Aus Paul Hjelms Sicht gab es in der heutigen Gesellschaft im Wesentlichen drei Formen der Selbstkasteiung, drei verschiedene Arten, den eigenen unzulänglichen Körper zu quälen. Alle drei waren in gewissem Maß akzeptabel oder verständlich, und erst wenn dieses Maß überschritten wurde, wurde es pathologisch. Die drei Formen waren plastische Chirurgie, Piercing und Tätowierung. Geriet die plastische Chirurgie außer Kontrolle, kam es nicht nur zu explodierenden Lippen, auslaufendem Silikon, zerstörten Nervenbahnen und erstarrtem Jokerlächeln, sondern auch zu direkten Abarten wie Hornbildungen an der Stirn, Eidechsenhaut und Katzenschwänzen. Geriet das Piercing außer Kontrolle, verwandelten sich das ganze Gesicht und die Geschlechtsorgane in durchwegs infizierte Schrottplätze, und auch das Tätowieren tendierte, im Exzess betrieben, dazu, den menschlichen Körper vollständig und für alle Zeit zu ruinieren.
    Lange Zeit hatte der Anblick eines gepiercten Nasenflügels oder straff nach hinten gespannter Wangen erkennbaren Ekel hervorgerufen. Jetzt rümpfte man kaum noch die Nase beim Anblick eines von achtzehn rostigen Nägeln durchbohrten Penis. Diese Entwicklung war rasant vonstattengegangen.
    Aber all dies hatte mit erwachsenen Menschen zu tun – erwachsen jedenfalls in gewissem Sinne –, doch wenn sich die Selbstkasteiungen chronisch unreifer Erwachsener unter Minderjährigen ausbreiteten, wurde es wirklich unangenehm. Elfjährige Mädchen mit unentwickelten Brüsten wünschten sich von ihren Vätern zu Weihnachten plastische Operationen, bettelten darum, sich die Zunge zum fünften Mal piercen zu lassen, strahlten vor Freude, wenn die dritte Pornotätowierung ihren Po zierte.
    Aber zumindest ging es auch dabei noch um den Wunsch, sich zu schmücken, eine Art konstruktive Destruktion. Erst wenn die Grenze der Selbstverletzung überschritten wurde, begann es wirklich wehzutun.
    In Paul Hjelm.
    Der Computer sprang um auf »Montag 08.51«. Hjelm rümpfte die Nase. Die Zeit lief ihm davon. Er begriff, dass er mit etwas zu tun hatte, was seine Arbeitsabläufe beeinträchtigen und vielleicht seine gesamte Aufmerksamkeit absorbieren würde.
    Er hatte jetzt nicht die Zeit, sich deswegen aufzuregen. Seine Tochter war dabei unterzugehen. Sie

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