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Bußestunde

Bußestunde

Titel: Bußestunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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geht mit Leben und Tod um«, sagte Sara und ging zum zweiten Bett rechts der Tür. »Man steht dem großen Rätsel der Existenz gegenüber und fühlt sich klein und unzulänglich. Man ist machtlos angesichts des Mysteriums Mensch – und außerdem machtlos in dem riesigen Apparat des Gesundheitswesens. Alles ist sehr unüberschaubar. Aber es gibt einen klitzekleinen Sektor, in dem man Macht hat, und es ist unglaublich wichtig, den zu verteidigen.«
    »Und das nennst du also menschlich?«, fragte Lena Lindberg und drehte ein weiteres Armband. Auch hier stand nicht der Name Suzanne Ehrenkrona.
    »Vielleicht sogar weiblich«, sagte Sara Svenhagen und fügte hinzu: »Hier ist sie.«
    Während Lena Lindberg die wenigen Schritte zum Bett rechts an der Tür tat, sah sie sich im Zimmer um. Sämtliche Frauen schienen zu schlafen, sie alle hatten verschiedene Arten von Verbänden um den Kopf. Erst jetzt kam ihr der Gedanke, dass dies der Saal für Gewalt gegen Frauen war und die Wahrscheinlichkeit, dass die Täter Männer waren, eher eine Gewissheit. Hier lagen vier Frauen, denen mit Sicherheit von Männern die Schädel eingeschlagen worden waren.
    Aufs Ganze gesehen schlugen Männer Frauen sehr selten – es gab immer noch ein Tabu, eine Grenze, die die Hand zurückhielt. Zur Gewalt neigende Männer griffen nur in Ausnahmefällen Frauen an. Doch das galt bloß in der Öffentlichkeit. Sobald diese gewaltbereiten Männer die Schwelle zur Sphäre des Privaten überschritten, bekam das Tabu Risse, die Grenze hielt die Hand nicht mehr zurück. Wenn eine Frau einen Mann an sich heranließ, setzte sie sich auch einer Menge von Risiken aus. Das wusste nicht zuletzt Lena Lindberg aus eigener Erfahrung. Sie war von Geir zwar nicht geschlagen worden – es verhielt sich faktisch umgekehrt, wenn auch in kontrollierter Form –, aber sie war in eine sadomasochistische Welt gelockt worden, in der sie eigentlich nichts zu suchen hatte. Aber es wäre nur noch ein kleiner Schritt gewesen. Sie gehörte zu den härtesten Frauen, die sie kannte – kein Mensch würde sich vorstellen können, dass Lena Lindberg von einem Mann misshandelt würde –, dennoch spürte sie, dass es nur noch ein kleiner Schritt war. All diese starken Gefühle – auch sie hätte in der gefühlsmäßigen Abhängigkeit landen können, die die Voraussetzung dafür war, dass Frauen sich immer wieder misshandeln ließen. Warum musste das so sein?
    Frauen hatten zu viel Selbstzerstörerisches in sich …
    Sara Svenhagen hatte Suzanne Ehrenkrona geweckt, und als Lena an deren Bettkante erschien, sagte sie: »Hej, Suzanne, wir sind von der Polizei. Schaffen Sie es, uns ein paar Fragen zu beantworten?«
    Suzanne Ehrenkronas klarblaue Augen tauchten aus den Nebeln auf und versuchten, sich zu orientieren. Schließlich nickte sie.
    »Sie kannten ihn, nicht wahr?«, fragte Lena Lindberg.
    Suzanne Ehrenkronas Blick wandte sich Lena zu. Gleichzeitig passierte etwas. Ihr Blick kehrte sich nach innen, er wurde defensiv.
    Lena sah, wie Sara eine Grimasse schnitt und rasch den Kopf schüttelte, aber es war ihr egal. Sie fuhr fort: »Haben Sie die Augen erkannt? Er kommt maskiert herein, dann dreht er sich zu Ihnen um, und da erkennen Sie die Augen. So war es doch, nicht wahr?«
    »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, sagte Suzanne Ehrenkrona mit heiserer Krankenhausstimme.
    »Kommen Sie schon, Suzanne. Sie wollen doch nicht, dass ich dreimal am Tag hier stehe und dieselbe Frage wiederkäue. Denn das wird passieren, wenn Sie weiterhin die Polizei belügen.«
    »Ich lüge nicht.«
    »Doch«, sagte Lena Lindberg. »Wenn es nicht die Augen waren, dann war es die Stimme. Aber Sie haben ihn erkannt.«
    Suzanne Ehrenkrona drehte langsam den Kopf, bis ihr Blick den von Sara Svenhagen traf.
    »Lena ist ziemlich beharrlich«, erklärte die.
    »Ich wäre beinahe gestorben«, sagte Suzanne Ehrenkrona. »Warum lassen Sie mich nicht in Ruhe?«
    »Weil Sie wissen, wer der Täter ist«, sagte Lena Lindberg. »Sagen Sie es einfach, dann lassen wir Sie in Frieden.«
    »Als ob das ein Problem wäre …«
    Lena und Sara wechselten einen Blick. Der Fall war klar.
    »Ihr Gesichtsausdruck wirkt höhnisch«, sagte Lena. »In dem Moment, in dem Sie ihn erkennen, reagieren Sie spontan mit Hohn. Und er reagiert ebenso schnell, als er Sie sieht. Es ist eine alte, richtig eingefahrene Beziehung. Das Problem ist, dass Sie neunzehn sind und vermutlich gar keine Zeit haben für eine solche Beziehung, nicht, während

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