Bußestunde
Einverständnis hast du. Und auch das, weswegen du eigentlich anrufst.«
»Das wäre?«
»Du hast meine volle Unterstützung. Es ist anstrengend, die Vergangenheit aufzusuchen. Ich weiß das, glaub mir.«
Lena Lindberg lächelte, als sie das Handy einsteckte. Dann holte sie tief Luft und hob die Hand. Und schließlich klopfte sie an die Tür.
Laila Hyllfors war in Lenas Alter, sah aber mindestens zehn Jahre älter aus. Sie hatte sich schon einen betont tantenhaften Stil zugelegt.
Seltsamerweise fand Lena, dass er zu ihr passte. An der Polizeihochschule hatte sie den Stil eines braven, biederen Mädchens vom Lande gehabt, und der hatte die Mobbinginstinkte der Junggockel aktiviert. Zwar hatten auch ein paar der Mädchen zuweilen mitgemacht und waren ihr spöttisch begegnet, aber in erster Linie hatten die jungen Männer sich hervorgetan. Tatsache war, dass sie wohl nicht einmal darüber nachgedacht hatten, dass sie sich tagtäglich sexueller Schikanen schuldig machten. Eine Gesellschaft, in der solche Übergriffe unbewusst erfolgen, ist nicht gesund. Für den Feminismus gab es noch eine Menge zu tun, so viel war klar.
Aber das war nun zwölf Jahre her. Lena hoffte – und glaubte –, dass die Lage sich trotz allem ein wenig verbessert hatte. Bald würde man auch über die Fehler von Frauen sprechen können, nicht nur über die von Männern. Aber bis dahin war noch ein gutes Stück Weg zurückzulegen.
Lena hatte sich an Spötteleien nie beteiligt – zumindest konnte sie sich daran nicht erinnern –, aber sie war auch nie dazwischengegangen. Soweit sie sich erinnerte, war sie vor allem froh darüber gewesen, nicht selbst betroffen zu sein.
Nein, nicht ein einziges Mal war sie dazwischengegangen. Nicht einmal hatte sie für Laila Partei ergriffen.
Die älter gewordene Laila Hyllfors hatte zwar eine sehr markante Sorgenfalte zwischen den Augen, aber aufs Ganze gesehen schien sie mit ihrem etwas tantenhaften Stil verschmolzen zu sein. Und ihr småländischer Akzent war unverändert. Er hörte sich nach der Gegend um Vetlanda an, dachte Lena, als sie Laila die Hand hinstreckte, die unbestreitbar ein wenig feucht war.
Die Hand von Kommissarin Laila Hyllfors war trocken und warm und ihr Händedruck fest. Der Händedruck einer Kommissarin. Sie war in ein Eisloch getaucht und aus einem anderen wieder herausgekommen. Und jetzt war sie trocken. Die Frage war nur, welche inneren Frostschäden zurückgeblieben waren.
»Das ist aber lange her«, sagte Kommissarin Hyllfors und machte eine Geste in Richtung des Besucherstuhls vor ihrem Schreibtisch.
»Das kann man wohl sagen«, gab Lena Lindberg zurück und nahm Platz. Obwohl sie merkte, dass sie sich weit vorn auf die Stuhlkante gesetzt hatte, war sie nicht fähig, etwas daran zu ändern.
»Du glaubst also, dass Johnny Stensson unschuldig ist? Weißt du, wie viel wir gegen den Mann in der Hand haben?«
Die Sekunden, die verstrichen, bis Lena Lindberg den Namen Johnny Stensson eingeordnet hatte, gehörten zu den längsten ihres Lebens. Ihr wurde klar, wie dämlich sie lächelte. Schließlich fiel der Groschen. »Es sind Umstände aufgetaucht, die uns veranlassen, das zu glauben.«
»Johnny Stensson hat ein Vorstrafenregister, das bis Dalarna reicht. Und es handelt sich fast ausschließlich um Gewaltdelikte – Schlägereien, Körperverletzung, versuchter Mord. Nicht zuletzt hat er Åsa Karlsson über Jahre hin misshandelt. Der Versuch, Stensson aus dem Knast zu holen, ist keine Wohltat, das kannst du mir glauben.«
»Ich muss ihn sprechen.«
»Das werden wir sehen«, sagte Laila Hyllfors und blickte Lena fest in die Augen.
»Kannst du mir den Fall kurz schildern?«
»Zuerst du euren«, sagte Laila Hyllfors, und es gelang ihr, dies nach einem überaus großzügigen Angebot klingen zu lassen.
Woraufhin Lindberg kurz und ungewohnt stringent die Ereignisse in der Jungfrugatan zusammenfasste.
Hyllfors betrachtete sie immer weniger neutral und förmlich, und als Lena fertig war, sagte sie: »Serienmörder? Gibt es so etwas in Schweden wirklich?«
»Jetzt auf jeden Fall.«
»Wenn ich richtig verstanden habe, könnt ihr kein einziges Mordopfer vorweisen.«
»Doch, Åsa Karlsson.«
»Die eindeutig von ihrem mörderischen Freund umgebracht wurde.«
»Hat er gesagt, dass sie drei Wochen verschwunden war?«
»Du musst dir klarmachen, was für eine Beziehung das war. Es war ein Terrorverhältnis. Åsa Karlsson hatte keine Freundinnen, keine Freunde, und zu ihrer
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