Bußestunde
Familie durfte sie keinen Kontakt haben. Johnny Stensson hielt sie in der Wohnung am Untravägen in Hjorthagen praktisch wie eine Gefangene. Manchmal nahm er sie mit auf Spaziergänge im Lill-Jansskog in der direkten Umgebung. Das tat er auch am Mittsommerabend. Dort wurde sie am Freitag, dem 23. Juni, um 23.46 Uhr von einer feuchtfröhlichen Clique, die in der Nähe gefeiert hatte, unter einer Kiefer gefunden, nicht weit vom Wasserreservoir am Kattrumpsbacken. Da war sie seit höchstens fünf Stunden tot. Eine Frau, die in der Nähe des Gasbehälters ihren Hund ausführte, hat außerdem Johnny Stensson identifiziert, der allein um acht Uhr am Abend aus dem Lill-Jansskog kam.«
»Und was hat Johnny selbst gesagt?«
»Dass er nach Åsa gesucht hätte. Das war dermaßen dämlich, dass der ganze Rest seiner Verteidigung sich in Luft auflöste.«
»Und der Rest seiner Verteidigung lautete, dass sie drei Wochen verschwunden gewesen sei?«
»So ungefähr.«
»Und wie ist es abgelaufen, als sie verschwand, ihm zufolge?«
»Sie war, wie gesagt, mehr oder weniger eingesperrt, und sie lebten tagein, tagaus dicht aufeinander. Er bewachte sie wie ein Habicht. Dass sie unter diesen Umständen verschwinden konnte, wirkte auch nicht besonders plausibel. Und dass sie drei Wochen wegblieb. Er hatte sie ganz und gar von sich abhängig gemacht. Aber er behauptet, sie habe sich hinausgeschlichen, als er ein Nickerchen machte.«
»Kann das am Freitag, dem 2. Juni, gegen vierzehn Uhr gewesen sein?«
»Was tust du hier eigentlich?«, stieß Laila Hyllfors aus. »Du hast ja offensichtlich die Voruntersuchung gelesen.«
»Genau das habe ich nicht«, entgegnete Lena Lindberg mit der ganzen Ruhe, die sie aufzubringen vermochte. »Åsa Karlsson wurde nämlich kurz nach halb drei von unserem Mörder auf dem Handy angerufen. Allem Anschein nach stand sie da in einem Videoverleih in der Jungfrugatan, und von der anderen Straßenseite war eine Überwachungskamera auf sie gerichtet. Kaum eine Minute später wurde sie im Haus gegenüber in den ersten Stock gelotst, drei Wochen lang gefoltert und anschließend im Lill-Jansskog abgelegt. Wie sah der Körper aus?«
»Ich mag es überhaupt nicht, dass du versuchst, meine Ermittlung für nichtig zu erklären«, sagte Laila Hyllfors irritiert.
»Das kann ich verstehen. Und ich bin überzeugt davon, dass du das denkbar Beste aus dem Material herausgeholt hast, das dir zur Verfügung stand. Aber jetzt sind neue Erkenntnisse hinzugekommen. So etwas kennst du doch.«
»Ich will Johnny Stensson nicht laufen lassen«, erklärte Laila Hyllfors aufrichtig. »Er ist ein Satan. Nicht lange, und ihm geht eine andere wehrlose Frau ins Netz.«
»Gibt es denn sonst nichts, wofür du ihn einbuchten kannst?«
»Ich will ihn genau dafür einbuchten, dass er Åsa Karlsson die Hölle auf Erden bereitet hat. Dass sie anschließend in einer noch schlimmeren Hölle landete, sehe ich für meine Ermittlung als völlig irrelevant an. Ich weiß, das ist irrational und juristisch falsch. Aber Åsa Karlsson – eine im Grunde ganz gewöhnliche junge Frau, vielleicht ein wenig willenlos, vielleicht mit einem recht schwachen Selbstbewusstsein ausgestattet – hat mitten unter uns ein Leben geführt, das der reine Horror war. Und es passierte hinter den Kulissen unserer geordneten Wohlfahrtsgesellschaft. Mitten unter uns, hier und jetzt. Und die Ungerechtigkeit, dass Åsa – nach allem, was Höllen-Johnny ihr angetan hat – es außerdem noch schafft, eurem Wahnsinnigen zum Opfer zu fallen, macht mich rasend. Es gibt verdammt noch mal keine Gerechtigkeit auf der Welt.«
Lena Lindberg betrachtete Laila Hyllfors. Das Feuer, das hinter ihrem ein wenig tantenhaften Äußeren brannte, war unübersehbar. Dies war eine Polizistin, für die Ungerechtigkeit kein Spaß war.
Und Lena Lindberg wusste, warum.
»Verzeihung«, sagte sie.
Laila Hyllfors zog die Stirn kraus und fixierte sie. »Wofür?«
»Weil ich nie … dazwischengegangen bin …«
Laila Hyllfors lachte auf. Sicher lag in diesem Lachen auch eine Dosis Bitterkeit, aber in erster Linie klang Überraschung heraus.
»Du warst zu schwach«, sagte sie. »Du warst wie Åsa, glaube ich. Zu schwaches Selbstbewusstsein, um zu agieren.«
»Wie meinst du das?«
»Warst du nicht vor allen Dingen froh, dass du selbst nicht betroffen warst?«
»Ja.«
»Du warst total egozentrisch. Alles drehte sich nur um dich und dein Aussehen. Der Rest der Welt existierte kaum.«
»Ich
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