Bußestunde
denke, du hast vollkommen recht«, gab Lena Lindberg verblüfft zu.
»Ich habe damals nie schlecht von dir gedacht«, erklärte Laila Hyllfors ruhig. »Aber ich habe gedacht, dass wir uns eigentlich zusammentun müssten. Du und ich und ein paar andere, die außerhalb der großen Machoverschwörung standen. Warum taten wir das nicht? Warum dachten wir nie an die große Schwesternschaft?«
»Zu schwaches Selbstbewusstsein?«
Laila Hyllfors lachte ziemlich laut und lange und sogar ein wenig polternd. Schließlich sagte sie: »Drei von denen arbeiten jetzt unter mir. Drei. Jocke, Agge und Roffe. Agge und Roffe tragen immer noch Uniform und kutschieren in einem Streifenwagen herum. Ich bin ihre Vorgesetzte. Und eines kann ich dir sagen: Sie kriegen nicht die angenehmsten Aufträge. So nachtragend erlaube ich mir zu sein.«
Lena Lindberg lachte befreit. »Und ich finde, du tust recht daran«, sagte sie.
Sie saßen eine Weile da und ließen die verstrichene Zeit wirken. Es tat nicht im Geringsten weh.
»Das Schlimme daran ist, dass mich das stark gemacht hat«, sagte Laila Hyllfors schließlich.
Eine ganze Menge Floskeln gingen Lena durch den Kopf. Sie war sehr zufrieden mit sich selbst, weil es ihr gelang, keine Einzige davon auszusprechen.
»Du hast nach dem Körper gefragt.« Laila Hyllfors hatte wieder ihren alten, effizienten Tonfall angenommen. »Das war wahrlich kein schöner Anblick. Als ich Åsa Karlssons Körper sah, war mir klar, dass Johnny Stensson nicht davonkommen durfte.«
»Wie sahen die Verletzungen aus?«
»Es waren Folterwunden, kein Zweifel. Hauptsächlich Schnittwunden, mit verschiedenen Instrumenten beigebracht, von ganz unterschiedlicher Schärfe. Außerdem stumpfe Verletzungen, von Schlägen, auch mit verschiedenen Gegenständen. Und Quetschungen, von irgendwelchen Zangen. Also, es war unbeschreiblich. Daneben fanden sich alte, halb verheilte Wunden, Narben, Brandwunden, Sachen, die bedeutend weiter zurücklagen als drei Wochen. Außerdem war sie ausgemergelt, ihr Körper war so dürr, dass er kaum zu sehen war unter der Kiefer dort. Als ob dieser Satan sie neben all dem anderen zusätzlich auch noch hätte hungern lassen. Die Ärmste war Jesus Christus so nahe, wie wir ihm überhaupt kommen können – ihr Körper musste alle Sünde tragen, zu der wir Menschen fähig sind. Und das ist verflucht noch mal nicht wenig.«
Auch jetzt wusste Lena Lindberg nichts zu sagen. Es ließ sich nicht besser zusammenfassen, als Laila es getan hatte. Alles, was sie herausbrachte, war: »Das Hungern war wohl auf jeden Fall ihre eigene Entscheidung.«
»Und man kann fast verstehen, warum«, sagte Hyllfors und fuhr fort: »Ich nehme an, das Wichtigste von allem ist, dass man darüber nicht misanthropisch wird.«
»Da kannst du recht haben«, sagte Lena Lindberg, stand auf und reichte Laila die Hand. »Ich hoffe, es dauert nicht weitere zwölf Jahre, bis wir uns wiedersehen.«
»Das hoffe ich auch«, sagte Laila Hyllfors. »Zum Glück wird man mit den Jahren ein wenig klüger. Nicht nur älter und faltiger und misanthropischer. Auch ein wenig klüger.«
Dann gab sie Lena Lindberg eine dicke Mappe.
»Die Ermittlung«, sagte sie. »Solltest du auf etwas stoßen, was dazu führt, dass Johnny Stensson im Knast bleiben muss, würde ich das als einen persönlichen Gefallen betrachten.«
»Danke«, sagte Lena. »Ich halte dich auf dem Laufenden. Wir werden deine Hilfe brauchen.«
Lena Lindberg trat auf den Korridor hinaus. Sie blieb einen Moment stehen und überlegte.
Sie dachte an die Vergangenheit und dass es von Zeit zu Zeit gut war, sie wieder aufzusuchen, damit das Vergangene nicht anfing zu modern und mit seiner Fäulnis das ganze Leben verpestete.
Sie dachte an die Fähigkeit, sich aus Erniedrigung und Schmerz zu erheben.
Sie dachte an die Macht der Vergangenheit über uns alle.
Sie dachte an die gewaltigen Gefühle, die dadurch geweckt wurden.
Sie dachte an Tiina Spinroth.
Und sie dachte, dass die Lösung in der Vergangenheit liegen musste. Wochenlang eine Anorektikerin nach der anderen zu foltern bedeutete etwas. Es bedeutete etwas Großes, Ekelhaftes, Übermächtiges. Etwas, das jenseits des Menschlichen lag.
Sie dachte an ihr eigenes schwaches Selbstbewusstsein in der Jugend und war sich nicht sicher, ob es jetzt so viel stärker war. War sie nicht immer noch eine Vollblutegozentrikerin?
Dann dachte sie an Åsa Karlsson. An ein Leben als Opfer, ausgenutzt und erniedrigt. Und wie sie dies
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