Bußestunde
Hürde schwang. Sie trug das amerikanische olympische Trikot des Jahres 1992.
Ihre Gesichter waren sich zum Verwechseln ähnlich.
»Wir sollten jedoch auf den Unterschied zwischen den beiden Frauen achten«, sagte Sara Svenhagen. »Armanda Carneiro ist, wie ihr hier seht, ziemlich stark unterernährt.«
»Aber sie ist schönheitsoperiert, damit sie aussieht wie Gail Devers«, sagte Arto Söderstedt.
»Wenn man bedenkt, dass Devers eine der muskulösesten Sportlerinnen in den USA war, ist die Anorexie zweifellos ein Illusionsbruch«, sagte Sara.
»Was den Besteller vermutlich wahnsinnig machte«, bemerkte Söderstedt.
» Jetzt bist du an der Reihe, Arto«, empfahl Kerstin Holm.
»Ich bin gestern auf einen ersten Fall in Portugal gestoßen«, hob Söderstedt an, den Blick auf einen kaum zu bändigenden Papierstapel geheftet. »Ein reicher Geschäftsmann hatte eine Kopie der Schauspielerin Lauren Bacall bestellt, ihr wisst schon, der Frau von Humphrey Bogart. Aber als er den Zuhälter in einer finsteren Nebenstraße in Braga im nördlichen Portugal traf, tauchte plötzlich eine Gruppe dunkler, schmaler Schatten aus den umliegenden Gassen auf, und sie ermordeten den Zuhälter, indem sie ihm die Kopf- und Gesichtshaut abzogen. Vor den Augen des schockierten Geschäftsmannes.«
»Ich fass es nicht«, stieß Kerstin Holm aus. »Die Erinnyen?«
»Es sieht ganz danach aus«, bestätigte Söderstedt. »Mit einem leicht veränderten Modus Operandi. Ich habe in Europa weitergesucht und zwei andere interessante Fälle entdeckt. Vor einigen Monaten widerfuhr in Madrid einem Zuhälter das gleiche zweifelhafte Schicksal. Da scheinen jedoch keine schönheitsoperierten Prostituierten im Spiel gewesen zu sein. Das ist dagegen an zwei anderen Stellen der Fall. Einmal ebenfalls in Portugal, wo bei einer Razzia eine Prostituierte angetroffen wurde, die exakt wie Angelina Jolie aussah. Und dann gab es eine junge Frau in Paris, die bis aufs i-Tüpfelchen Madonna glich und in Anlehnung an das Buch In Bed with Madonna sexuelle Dienste ausführte. All dies ist im Laufe des letzten Jahres geschehen. Außerdem gibt es im Internet Gerüchte über diese Bande. Da wird darüber spekuliert, wie man eigentlich verfahren muss, um sein ›Idol‹ zu bestellen. Es wird auch über den Preis spekuliert, der bei etwa einer Million Euro liegen soll.«
»In diesem Zusammenhang wird die DNA-Frage wieder interessant«, sagte Sara Svenhagen. »Der mörderische Mann, den du, Arto, im Treppenhaus des Hauses in der Jungfrugatan angeschossen hast, ist ein brasilianischer Berufskiller mit Namen Thiago. Wer er eigentlich ist, weiß man nicht, er tritt nur unter dem Namen Thiago auf und verkauft seine Waffe und seine Kompetenz als Mörder an den Meistbietenden.«
Arto Söderstedt ergänzte: »Und in diesem Fall ist der Meistbietende eine Bande, die reiche Männer mit schönheitsoperierten Prostituierten versorgt, denen ein Mikrochip eingesetzt ist. Die Frauen sollen den Mädchen aus den erotischen Träumen dieser Männer gleichen.«
»Thiago war hergekommen, um die vermutlich geflohene Gail-Devers-Kopie Armanda Carneiro zurückzuholen«, schlussfolgerte Kerstin Holm. »Stattdessen stand er plötzlich Auge in Auge mit ihrem abgetrennten Arm da.«
»Soweit man einem abgetrennten Arm Auge in Auge gegenüberstehen kann«, steuerte Arto Söderstedt bei.
»Wir müssen auf jeden Fall alles über diesen Thiago herausfinden. Brasilianer? Ist es vielleicht eine brasilianische Bande, die ihre Basis im Mutterland Portugal hat?«
»Nicht völlig undenkbar«, sagte Söderstedt, »und die sich langsam nach Spanien und Frankreich hin ausbreitet. Und aus irgendeinem Grund in Schweden. Und die jetzt von den griechischen Urzeitgöttinnen gejagt wird, die man als Erinnyen bezeichnet.«
»Kannst du deine internationale Suche auf Brasilien ausdehnen?«, fragte Kerstin Holm.
»Bestimmt«, sagte Söderstedt.
»Weiter. Existiert beispielsweise ein schwedischer Gail-Devers-Fanklub? Findet das alles heraus. Es gibt bestimmt Chatrooms mit Gail-Devers-fixierten Männern ohne Privatleben. Anderseits ist nicht sicher, dass Armanda Carneiros Devers-Kopie in Schweden bestellt worden ist – sie war ja allem Anschein nach auf dem absteigenden Ast, als Tiina Spinroth die Klauen in sie schlug. Vielleicht ist sie wirklich abgesprungen bei diesem Syndikat und auf der Flucht aus Südeuropa.«
»Das würde erklären, warum es so lange gedauert hat, bis die sie gefunden haben«, nickte
Weitere Kostenlose Bücher