Bußestunde
war.
Es ist schwer zu erklären. Vielleicht war ich ein wenig zu dünnhäutig nach meinem letzten Trip nach Bagdad.
Bagdad. Ja, das ist die Hölle auf Erden. Das ist es wirklich.
Ich habe Bagdad von innen wie von außen gesehen. Ich habe die verschiedenen Fraktionen gesehen – Schiiten und Sunniten in allen erdenklichen Varianten – , und ich habe gesehen, wie sie einander töteten, ohne Gnade, ohne Unterschied, ohne die geringste Gefühlsregung. Ich habe gesehen, wie sich die Selbstmordattentäter von etwas Extremem, etwas, was eher die Ausnahme war, zu einer ganz gewöhnlichen Waffengattung entwickelten. Ich habe gesehen, was dies möglich gemacht hat.
Ich habe versucht, dem Irak zu helfen, eine Sicherheitspolizei auf demokratischer Basis einzurichten. Aber wie sollte das möglich sein ohne eine demokratische Basis? Mein Job in den letzten Jahren war ein Paradox. Werden die USA Demokratie lehren? Die Kunst, Wahlergebnisse vor Gericht anzufechten?
Aber die Kombination der Begriffe »Sicherheitspolizei« und »Demokratie« funktioniert nicht. Sie hat nie irgendwo funktioniert. Das habe ich in den letzten Jahren gelernt. Alles, woran ich geglaubt habe, ist umgestoßen worden. Ich habe immer für eine undemokratische Instanz gearbeitet. Man hat mich gelassen, weil ich effizient und geschickt war. Ich bin ein guter Mörder gewesen. Aber über meine Ideale hat man gelächelt. Jaja, lasst M nur machen, lasst ihn glauben, woran er glauben will, das Regime der Idioten, die Herrschaft der Unwissenden, das Paradies der Spinner, whatever. Es ist gut, wenn er daran glaubt, das scheint ihn aufrecht zu halten. Das scheint seine Optik zu stabilisieren.
Er hasst nicht, das ist gut. So bleibt er eine effektive Mordmaschine. Es ist genau das, was wir brauchen.
Dann begann ich zu hassen. Ich glaube nicht, dass sie es sahen, ich kann mir nicht denken, dass sie es bemerkt haben. Keiner sieht, was ich denke, keiner ahnt, was ich fühle. So gesehen, gibt es mich praktisch nicht.
Ich frage mich, ob es mich je gegeben hat.
17
Wenn er quer über den unendlich tristen Innenhof des Polizeipräsidiums blickte, konnte er die Fenster der A-Gruppe sehen. Zimmer auf Zimmer. 301, 302, 303, 304, das neue Zimmer 305. Und Zimmer 300, die Kampfleitzentrale, allerdings ohne ein Fenster in irgendeine Richtung.
All die alten Zimmer.
Seit vielen Jahren arbeitete er jetzt schon für die Sektion für interne Ermittlungen. Er war Kommissar auf einem Chefposten. Dann und wann hatte er gegen seine alten Kollegen ermitteln müssen. Er war keiner von ihnen mehr.
Dennoch gab es keinen Zweifel daran, dass sein Herz immer noch dort drüben schlug. Manchmal arbeiteten sie zusammen. Wahrscheinlich etwas öfter, als wirklich nötig war.
Wahrscheinlich ließ er auch ein wenig zu oft fünf gerade sein.
Er fragte sich, was sie gerade machten. Niklas Grundström, der Leiter der Gesamtsektion für interne Ermittlungen, hatte kurz bei ihm hereingeschaut und einiges erzählt. Paul Hjelm hatte Grundströms Verhaltensmuster mit einer gewissen Gründlichkeit analysiert. Deutete etwas darauf hin, dass er Bescheid wusste? Dass er eine Ahnung davon hatte, woran sein engster Mitarbeiter arbeitete?
Nein, so gut meinte er Grundström inzwischen zu kennen. Grundström wusste nichts. Noch nicht. Das sah er.
Niklas Grundström wusste auch nichts davon, dass der Serienmörder, den die A-Gruppe jagte, in der Nähe von Paul Hjelms Tochter gewesen war. Und so sollte es auch bleiben. Wenn möglich.
Hjelm kehrte zu Tore Michaelis zurück. Er ahnte, dass dessen fortschreitende »Selbstreflexion«, seine »starken Seiten« mit der A-Gruppe zu tun hatten. Aber er begriff noch nicht ganz, inwiefern.
Vielleicht hatte er alles grundsätzlich missverstanden. Doch sein Gefühl sagte etwas anderes, und er hatte gelernt, sich auf seine Gefühle zu verlassen. Sie waren ein Bestandteil seines rationalen Werkzeugkastens.
Er seufzte schwer, legte Bachs h-Moll-Messe auf und dachte darüber nach, was er gelesen hatte.
Tore Michaelis war wirklich ungefähr der Mensch, den er sich vorgestellt hatte. Mit einer Ausnahme: das Töten.
Er hatte sich nicht vorgestellt, dass Michaelis so oft getötet hatte. »Ein paar Selbstmordattentäter in Australien«, was war das für ein Unfug?
Hass, dachte Paul Hjelm. Tore Michaelis hasst. Deshalb verschwindet er. Weil er plötzlich, mit sechzig, zum ersten Mal in seinem Leben von Hass ergriffen wird.
Er hat es auf jemanden abgesehen und ihn ins Visier
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