Butter bei die Fische: Ein Ostfriesen-Krimi (Piper Taschenbuch) (German Edition)
»dann wüsste ich doch gern, was Sie mir erzählen könnten von dem, was dort draußen und hier im Haus in den letzten Tagen geschehen ist.«
»Für Bartel ist jeder Tag gleich«, sagte Oma Inse, die trotz Baldrian und Nervenzusammenbruch wieder auf den Füßen war und zur Tür hereinkam. »Wenn die Sonne aufgeht, dann sieht er, wie sich die Wand dort rosa färbt. Mittags leuchten die Blumen. Nur abends wird dies Eckchen leider schon früh dunkel. Das mag er nicht.«
»Kann er denn reden?«
»Kein Wort. Das Sprachzentrum«, erläuterte Oma Inse und deutete auf seinen Kopf.
»Versteht er, was man ihm sagt?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Was weiß man schon?«
»Könnten Sie mal nicken, wenn Sie mich verstehen?«, bat Elias den alten Mann, doch der rührte sich nicht. Hm. Alles schwer einzuschätzen. Elias drehte sich wieder zu Oma Inse. »Was glauben eigentlich Sie? Hat Sören van Doom Steffi verschleppt?«
»Aber nein, warum sollte er das denn tun?«, fragte Oma Inse erstaunt.
»Aber Gitta ist der Meinung …«
»Ach, Gitta. Die denkt auch, er war das mit Murmeli und Kurt.«
»Aber das trauen Sie ihm auch nicht zu?«
»Sören? Der ist ’n büschen überkandidelt, aber der tut niemand weh. Ich kenn den, da hat er noch in die Windeln geschissen«, sagte Oma Inse, als hätten ihr die beschissenen Windeln einen umfassenden Einblick in Sörens Charakter gewährt. »Außerdem hat es schon vorher einen Anschlag auf Murmeli gegeben. Das kann doch nicht alles Sören gewesen sein.«
»Vorher?«, fragte Elias interessiert.
»Ja, da hat ihr jemand was in den Wassernapf gegossen. Es war gelb, sah aus wie …«
Wie Tee, dachte Elias mit schlechtem Gewissen.
»Wie wenn da jemand reingepinkelt hätte.« Oma Inse seufzte. »Wissen Sie, was ich gern täte? Sterben. Doch, wirklich«, sagte sie und hob den Kopf, weil sie Elias nur bis zum Kinn reichte. »Ich glaube, junge Leute unterschätzen den Nutzen davon. Wenn man tot ist, hat man keine Plackerei mehr im Garten … der Staub in der Stube ist egal … den Kessel musst du auch nicht mehr entkalken … Das ist wie schlafen gehen ohne Wecker. Alle Sorgen weg. Auch wenn man nicht ans Paradies glaubt, hört sich das doch schön an.«
Plötzlich begann sie zu weinen. Unversehens lag sie ihm an der Brust. Er merkte, wie sein Hemd nass wurde, und wünschte sich, Hedda wäre da. Dabei fiel sein Blick auf Opa Bartel. Der hatte die Stirn gefurcht und sah ziemlich aufgebracht aus. Was Oma Inse zum Thema Sterben von sich gegeben hatte, missfiel ihm, eindeutig. Und damit war klar, dass er wirklich kapierte, was gesprochen wurde.
»Ihr Mann hat jedes Wort gehört, das Sie gesagt haben«, meinte Elias zu Oma Inse, die sich daraufhin aus seinen Armen schälte.
»Nee«, sagte sie, »der ist nur eifersüchtig, wenn mich jemand anfasst. Das kann ich ihm einfach nicht abgewöhnen.«
Dass Boris wieder am Stromern war, bot für sie keine Überraschung. »Der Junge rennt sich seinen Kummer wegen Steffi ab«, erklärte sie, als sie Elias zur Tür brachte. »Der hatte seine Schwester lieb, auch wenn sie ihn oft ärgerte.«
Elias ging trotzdem noch mal in Bärbels Wohnung, unten im Haupthaus. Bärbel saß wieder auf dem Sofa und sah fern, während sich vor ihr auf dem Tisch neben einem Colaglas leere Süßigkeitentüten türmten. Offensichtlich hatte sie eine Vorliebe für Lakritze.
Elias fragte, ob er Platz nehmen dürfe, und weil sie nichts dagegen einwandte, räumte er einen Stapel frischer Unterwäsche von dem einzigen Sessel, legte ihn neben den Tüten ab und setzte sich. »Was denken denn Sie ? Hat Sören etwas mit Steffis Verschwinden zu tun?«, fragte er.
Bärbel schaute konzentriert an ihm vorbei. Im Fernsehen lief ein Kommentar zur chronischen Unterfinanzierung der Sozialsysteme – das war’s wohl eher nicht, was sie fesselte.
»Und sonst? Ist Ihnen sonst noch was eingefallen?«, fragte Elias.
Bärbel schob eine Salzlakritzbrezel in den Mund. Das Zellophan raschelte, als sie nachsah, ob es noch ein zweites in der Tüte gab.
»Hallo«, tönte es von der Kinderzimmertür. Boris stromerte also doch nicht. Elias stand auf und winkte ihn hinaus, wogegen Bärbel auch nichts einzuwenden hatte. Es war gegen sechs und eine gute Zeit für einen Spaziergang. Sie verließen das Hofgelände. Beide schwiegen, und Elias fand, dass Stromern nicht das Schlechteste bei emotionaler Verwirrung war. Schade, dass seine Mutter ihn früher nie hatte stromern lassen. Er war gelegentlich auch
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