Butterblumenträume - Rath, C: Butterblumenträume
Ecke, flüstert kurz mit der Schwester und geht dann auf mich zu.
»Frau Winter, es tut mir sehr leid. Frau Peeger ist heute Nacht gestorben. Sie ist ganz friedlich eingeschlafen und nicht wieder aufgewacht. Wenn es ein Trost für Sie ist, sie musste nicht leiden. Gestern Abend hat sie mich noch gebeten, Ihnen das hier zu geben.« Er drückt mir einen Umschlag in die Hand, was ich aber nur am Rande wahrnehme.
Sie hat es geahnt. Sie hat sich gestern schon von mir verabschiedet. Dieser Traum von ihrem Hermann, das hätte mir schon zu denken geben sollen.
»Soweit wir wissen, gibt es keine näheren Verwandten. Sollen wir die Beerdigung veranlassen oder …«
»Nein, das mache ich«, höre ich mich sagen. »Ich kümmere mich darum.«
Der Doktor gibt mir die Hand.
»Geht es denn, Frau Winter? Ich glaube, Sie standen sich ziemlich nahe, nicht wahr?«
»Sie war meine beste Freundin. Nein. Viel mehr als das.«
Ich bin immer noch ganz ruhig, viel zu ruhig für meine Verhältnisse. Erst als ich zu Hause ankomme und in die treuen Augen von Jojo blicke, die es weiß, bevor ich es ihr sagen kann, fließen die Tränen und wollen nicht mehr aufhören.
Die nächsten Tage verbringe ich in einem seltsamen Zustand. Ich stehe zwar jeden Tag auf, wasche mich und ziehe mich an, aber ich nehme nichts um mich herum so richtig wahr. Emily kommt, zum Glück, aber statt der Renovierung hilft sie mir, die Beerdigung von Frieda zu organisieren. Ich handle mechanisch, esse und trinke, ohne groß nachzudenken, und bin froh, dass ich das jetzt nicht alleine durchstehen muss. Nebel steigt vom See auf und hüllt alles in ein dunkles, feuchtes Grau, auch meine Seele.
Was hab ich getan, dass mich alle Menschen verlassen? Bin ich vielleicht verflucht? Wollte ich zu viel mit meiner Unzufriedenheit? Erst Christian, dann Nini, meine Mutter … Und jetzt Frieda. Nur, dass sie niemals wiederkehrt. Sie fehlt mir so. Mit ihrem unerschütterlichen ostfriesischen Optimismus und der starken Haltung in allen Lebenslagen. Auch wenn wir erst einige Monate befreundet waren, so war sie mir doch näher als so manch anderer, den ich schon ewig kenne.
Dann, nach scheinbar endlosen Tagen in diesem grauen Vakuum, kann ich endlich den Brief von Frieda lesen. Ich sitze oben auf meinem lila Sofa, zusammen mit der traurigen Jojo, deren kleines Herz wohl auch gebrochen ist, vor mir ein Glas Rotwein, und lese.
Meine liebe Maja,
wenn du diesen Brief liest, bin ich nicht mehr bei Dir. Jedenfalls nicht körperlich … Bei Dir werde ich immer sein. Ich möchte, dass du nicht traurig bist und nicht weinen wirst, kannst du mir das bitte versprechen? Nenn es meinen letzten Willen. Und den darf man ja einer Sterbenden nicht abschlagen, vergiss das bitte nicht.
Weißt du, meine Liebe, es gibt nämlich überhaupt keinen Grund, traurig zu sein. Ich darf jetzt bei meinem Hermann sein. Und auf diesen Moment habe ich so lange gewartet, die ganzen letzten Jahre. Seit ein paar Tagen spüre ich, wie meine Kraft immer weniger wird und so langsam zu Ende geht. Je schwächer ich werde, desto stärker spüre ich Hermann bei mir. Wie er auf einmal neben mir sitzt, meine Hand hält und sagt: ›Komm, Frieda.‹ So wie damals, als ich von Ostfriesland zu ihm kommen sollte. Ich bin ihm damals gefolgt und ich werde es auch diesmal tun.
Also weißt du, dass ich glücklich bin, und Du brauchst nicht traurig zu sein. Gut. Als Nächstes möchte ich dich wissen lassen, dass ich von dem Moment an, als wir uns das erste Mal sahen, das Gefühl hatte, dich schon ewig zu kennen. Verrückt, oder? Dabei hatten wir uns noch nie gesehen. Aber du warst mir von Anfang an so nah wie manch anderer sein Leben lang nicht. Mein Vertrauen zu Dir ist grenzenlos, und das ist das Einzige, was ich wirklich und von Herzen bedaure: Dass ich nicht länger mit Dir zusammen sein kann. Doch tief in meinem Innern bin ich davon überzeugt, dass nicht die Quantität der Zeit, sondern die Qualität, in der wir unsere Stunden miteinander verbringen, von Bedeutung ist. So vieles hast Du mir anvertraut, und ich kann Dich so gut verstehen. Manchmal steht man an einem Wendepunkt in seinem Leben und weiß nicht, wie es weitergehen soll. Doch wenn man immer auf seine innere Stimme hört, findet man den richtigen Weg.
Dein Herz kennt seinen Weg ganz genau. Manchmal braucht es nur etwas Mut. Ja, und natürlich auch ein bisschen Geld.
Siehst du, und damit wären wir beim letzten Punkt: Du bist die Familie, die ich nie
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