Butterblumenträume - Rath, C: Butterblumenträume
mir, dass ich genau in seine Augen sehen kann. Sie sind so dunkel und warm und trotzdem unergründlich. Fast habe ich das Gefühl, dass er mich küssen will, doch dann wendet er sich abrupt ab und sagt: »Komm. Ich zeige dir den Rest.« Und wir gehen nach oben.
*
In der oberen Etage befinden sich drei Schlafräume, der größte davon liegt zur Seeseite. Aus dem vorne liegenden großen Fenster hat man einen noch fantastischeren Blick auf den See als unten. Die beiden anderen Räume sind auch recht groß und gut geschnitten. Keiner von ihnen ist möbliert, aber man kann sich sehr gut vorstellen, wie sie wirken, wenn sie möbliert sind. Vor meinem geistigen Auge entstehen mein Schlafraum, Ninis Zimmer …, ja, und ein Gästezimmer hätten wir auch noch. Auf derselben Etage ist noch ein großes Bad mit zwei Waschbecken, das zwar alt ist, aber sicher sehr schön ausgeschmückt werden kann.
»Was ist ganz oben?«, frage ich Christian. Wir gehen die kleine Treppe hinauf und stehen in einem riesengroßen, wunderschönen Raum. So wie ich es bereits erwartet hatte, als ich das Haus vom Garten aus betrachtet habe, wäre der Raum perfekt für ein Atelier. Ich muss an meine Mutter denken und daran, wie schön sie hier ihre Bilder malen könnte. Die Idee nimmt immer mehr Gestalt an. Hier könnten wir leben und arbeiten. Das Café könnten wir zwar das ganze Jahr geöffnet lassen, aber wahrscheinlich wäre im Frühling und Sommer mehr los. Nini könnte nach der Schule im Service mithelfen, und meine Mutter könnte in der Küche bei den Vorbereitungen helfen und ihren leckeren Rhabarberkuchen und ihren leckeren Kartoffelsalat machen. Ich meine, sie wird ja auch nicht jünger, und hier bei uns wäre sie nicht allein, falls ihr mal etwas passiert. Ich kann mir das alles so gut vorstellen. Doch dann fällt mir ein: Ich bin ja nicht alleine. Heute Morgen habe ich noch geplant, zu Leon auf das Weingut zu ziehen. Was würde er wohl sagen, wenn ich ihm mit dieser Idee käme? Wahrscheinlich würde er mich für verrückt erklären und mich in den Wind schießen. Und die doofe Anouk hätte freie Bahn. Na ja, immerhin wäre sie Katharina als Schwiegertochter sowieso viel lieber als ich.
O Gott, wo kommen nur all diese Gedanken her? Außerdem weiß ich gar nicht, ob Christian mir die ›Butterblume‹ überhaupt vermieten würde. Bis jetzt hat er noch keinen Ton dazu gesagt. Im Moment steht er gedankenverloren am Fenster und blickt auf den dunklen See.
»Das hier war mein Zimmer«, sagt er und dreht sich zu mir um.
»Da hast du dich sicher sehr wohlgefühlt«, antworte ich. »Es ist wirklich ein wunderbarer Raum.«
Ich versuche ein Lächeln, und schon wieder treffen sich unsere Blicke. Ich kann förmlich spüren, wie es zwischen uns knistert. Er macht einen Schritt auf mich zu, doch dann, gerade, als ich mir wünsche, dass er mich küsst, dreht er sich um, als hätte er es sich anders überlegt, geht zur Treppe und sagt: »Das Gewitter ist vorbei. Wir können wieder hinaus.«
*
Ich bin total verwirrt. Heute Morgen noch war ich ganz unglücklich und habe mich selbst bemitleidet, weil ich entlassen worden bin. Heute Nachmittag erzähle ich einem Wildfremden die Geschichte und wünsche mir sogar, dass er mich küsst. Nicht zu vergessen, dass ich plane, ein Café zu eröffnen, obwohl ich nicht die geringste Ahnung von Gastronomie habe, ganz zu schweigen von den finanziellen Mitteln dazu. Ich muss komplett verrückt geworden sein, Herr Aschenbrenner hat ganz recht. Sind das schon die Wechseljahre? Oder was ist los mit mir?
Nachdem Christian sich wieder seiner Arbeit an den Fensterläden widmet, setze ich mich auf mein Rad und fahre nach Hause. Keine Ahnung, wieso er sich auf einmal so komisch verhalten hat. Ganz bestimmt wollte er mich loswerden, weil er mich auch für eine durchgeknallte Spinnerin hält.
Zu Hause erwartet mich eine aufgeregte Nini. Sie wollen mit der Schulklasse morgen auf Klassenfahrt nach Berlin, und sie hofft, rechtzeitig am Samstag wieder zurück zu sein. Schließlich ist Samstagabend die große Sommerparty bei den Koflers. Während ich uns eine Kleinigkeit zu essen mache, wuselt sie zwischen ihrem Zimmer und der Küche hin und her und erzählt mir die neuesten Dinge über ihre Freundinnen und Marcus. Ich kann ihr unmöglich sagen, dass ich meinen Job verloren habe. Wenn sie am Samstag bei den superreichen Koflers mit ihren superreichen Freunden feiert, soll sie sich nicht fühlen wie das arme
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