BY702 - Heroin in harten Händen
Haut, ein leichter Wind wehte, die Schatten der Kastanienbäume sorgten in kurzen Abständen für die nötige Kühlung. Sergeant Whisby pfiff leise vor sich hin. Dann steuerte er quer über die Straße auf den Drugstore zu, um sich eine Schachtel Zigaretten zu kaufen.
Im Drugstore passierte es.
Sergeant Whisby betrat den Laden, grinste dem dicken Inhaber zu und wollte gerade gut gelaunt: Morning, Mr. Appleton! rufen. Aber das Wort blieb ihm in der Kehle stecken. An der Theke lehnte ein Fremder und trank ein Bier aus einer Büchse. Ein junger Mann mit sanftem, unschuldigem Kindergesicht, glatter Haut und strohblondem, leicht gelocktem Schopf, ein Bursche, der mit Sicherheit nicht zu den Einheimischen zählte. Aber Sergeant Whisby kannte ihn. Vermutlich kannte ihn jeder New Yorker Cop. Denn dieses sanfte Kindergesicht mit den großen, dicht bewimperten Augen war auf etlichen Steckbriefen zu sehen: Baby Lorne, der Rauschgiftkönig. Baby Lorne, ohne dessen Vermittlung es in New York so gut wie unmöglich war, auch nur eine Unze Heroin an den Mann zu bringen. Baby Lorne, der seit Jahren seine Finger in jedem schmutzigen Geschäft hatte.
Sergeant Whisby schluckte seine Überraschung mit Mühe herunter. Sein rotes Gesicht war noch um eine Spur roter geworden, in seinem Hirn jagten sich die Gedanken. Einen Augenblick lang spielte er mit dem Gedanken, den Dienstrevolver zu zücken und den Mann auf der Stelle zu verhaften. Aber dann erinnerte er sich daran, daß er ein fähiger und überlegener Polizeibeamter war, trat an die Theke und .tippte so unbefangen wie möglich an seine Mütze.
»Morgen, Sergeant«, grüßte der Wirt. . »Morgen, Mr. Appleton. Geben Sie mir ein Bier.«
Appleton stach umständlich zwei Löcher in die Büchse, nahm ein Glas und schenkte ein.
»Zum Wohl auch! Warm heute, nicht wahr?«
»Ja, warm heute.«
»Das Bier kommt jedenfalls aus dem Kühlschrank. Möchten Sie ’n kleinen Schnaps dazu?«
»Nicht, wenn ich im Dienst bin.«
»Na, vielleicht ’n andermal.« Appleton machte sich in den Regalen zu schaffen. Sergeant Whisby nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn. Während der Unterhaltung hatte er den Fremden ständig aus den Augenwinkeln beobachtet. Baby Lorne schien etwas nervös zu sein. Er trank hastig und blickte ab und zu auf die Uhr. Aber wie er so dastand, unruhig eine Zigarette zwischen den Fingern drehend, wirkte er eher wie ein Collegeboy, der auf sein Mädchen wartet. Niemand hätte hinter seiner unschuldigen Maske den brutalen Gangster vermutet, der er war.
Nach einer Weile warf er ein paar Münzen auf die Theke, legte sich die Jacke über die Schulter und verabschiedete sich mit einem gemurmelten »So long!«
Sergeant Whisby wartete einige Sekunden. Dann zahlte er, ließ das halbgeleerte Bierglas stehen und trat wieder auf die Straße. Kopfschüttelnd sah der Inhaber des Drugstores ihm nach.
Baby Lorne bog ein paar Yard weiter um eine Ecke. Mit langen Schritten folgte ihm der Sergeant. An der Straßenkreuzung sah er, wie Baby Lorne zielstrebig 'auf das einzige vernünftige Hotei der Stadt zusteuerte.
Sergeant Whisby blieb stehen und entfaltete ein großes kariertes Taschentuch, um sein Gesicht von den Schweißperlen zu befreien, die sich angesammelt hatten. Er war an ein schnelles Tempo nicht mehr gewöhnt. Leicht keuchend beobachtete er, wie der Gangster die Schwingtür aufstieß und verschwand. Whisby hielt es für unklug, ihm bis in das Hotel zu folgen. Also wartete er.
Sergeant Whisby hatte Zeit. Er hatte auch Geduld. Er wartete genau eine Stunde und dreiundvierzig Minuten. Etliche Passanten bedachten den rotgesichtigen Polizisten, der da wie gebannt auf einem Fleck stand, mit einem Kopfschütteln. Zwei etwa vierzehnjährige Jungens, die er gut kannte, wollten eine Unterhaltung mit ihm anknüpfen. Aber der sonst so freundliche und redselige Sergeant ließ sich nicht ablenken. Breitbeinig, die großen fleischigen Hände in die Hüften gestützt, stand er da und beobachtete das Hotel. Gerade hatte er sein kariertes Taschentuch entfaltet, als Baby Lome wieder auf der Bildfläche erschien. Zwei schmächtige dunkelhaarige Typen folgten ihm, die sich, soweit man das aus der Entfernung erkennen konnte, sehr ähnlich sahen. Sie blickten sich nach allen Seiten um. Dann überquerten sie die Straße und kamen auf den Sergeant zu.
Whisby stopfte eilig das Taschentuch in den Bund seiner Hose und verschwand in einem Hauseingang.
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