Bye Bye, Crazy Chick
Deckenleuchten. Das Tropfgeräusch kam von irgendwo oberhalb, vielleicht von einer undichten Rohrleitung zwischen den Querträgern und Spinnweben. Hier unten war es kalt und feucht. Weiter hinten mündete der graue Raum in mehrere kleinere Gänge und Nischen. Von den Rohren über meinem Kopf hingen verrostete Ketten und Seile herunter. Einige der Kettenenden waren mit Fleischerhaken bestückt.
Ich hörte ein Geräusch und drehte den Kopf in die Richtung. Das Geräusch wiederholte sich, ein schabender, kratzender Laut.
Sechs Meter nackten Betonbodens von mir entfernt saß Gobi, ebenfalls an einen Stuhl gefesselt.
Was immer die beiden Typen da draußen mit mir gemacht hatten – ihr hatten sie noch viel schlimmer zugesetzt. Ihre Lippen waren dick und aufgeplatzt. Das rechte Auge war komplett zugeschwollen, sodass nur ein schmaler, schräg nach unten hängender Schlitz mit einer feucht glänzenden, höllisch aufmerksamen Pupille übrig geblieben war. Eine offene Wunde klaffte auf ihrer linken Wange bis zum Kinn, und als sie den Mund aufmachte, sah ich, dass ihr ein Zahn ausgeschlagen worden war. Sie starrte nach unten und murmelte etwas auf Litauisch vor sich hin.
»Gobi?«
Sie antwortete nicht.
»Gobi?«
Sie drehte den Kopf und sah mich mit ihrem gesunden Auge an.
»Wo sind wir?«
Sie legte den Kopf zur Seite und horchte. Irgendwo über uns sprach jemand mit gedämpfter Stimme, und das Knarren von Dielen, auf denen von Zeit zu Zeit Stiefelschritte polterten, war zu hören.
»Wohin haben diese Kerle uns gebracht?«
Sie schüttelte den Kopf, damit ich still war. Über uns setzten sich die Schritte wieder in Bewegung. Dann vernahm ich eine andere Stimme, weiblich, doch ich konnte nicht verstehen, was gesagt wurde. Weil alles so weh tat, atmete ich schwer und pfeifendein und aus, was die meisten anderen Geräusche übertönte. Ich versuchte, meine Erinnerung zu durchforschen, was genau passiert war, nachdem Tränentattoo mir mit dem Gewehrkolben ins Gesicht geschlagen hatte. Aber alles lag hinter einem flatternden blutgetränkten Schleier im Dunkeln. Ich erinnerte mich daran, dass ich irgendwen gebeten hatte aufzuhören, und an immer schwächer werdendes Gelächter.
Inzwischen hatten sich meine Augen komplett an die Dunkelheit gewöhnt.
Da sah ich die Käfige.
***
Sie ähnelten Zwingern für große Hunde, außer dass sie dickere Gitterstäbe hatten. An den Riegeln baumelten offene Vorhängeschlösser. Soweit ich erkennen konnte, waren sie leer. Nur dreckiges Zeitungspapier und zusammengeknäulte Lumpen lagen auf dem Boden. Das Szenario erinnerte mich an die russische Hundekampfarena in Brooklyn, und ich fragte mich, ob wir irgendwie wieder da gelandet waren.
»Die sind für Menschen«, flüsterte Gobi.
»Was?«
»Die Käfige.«
Ich starrte sie an. »Sie stecken Menschen in diese Dinger?«
Gobi machte eine Kopfbewegung nach oben in Richtung der undeutlichen Stimmen und Schritte. In dem Moment klang es, als ließe jemand eine Reihe schwere Holzklötze die Treppe herunterfallen. Einen Augenblick später wanderte das helle Oval einer starken Taschenlampe über die Wände in meiner Nähe und warf bizarre Schatten unwirklich erscheinenderGegenstände – ein Geier, ein Wolfsschädel, die gezackten Zähne einer Bärenfalle. Einer nach dem anderen verschwanden sie wieder.
Die Schritte wurden langsamer, näherten sich. Der Mann hinter der Taschenlampe stapfte vor mich hin, blieb stehen und funzelte Gobi direkt ins Gesicht. Er trug einen langen Cowboymantel, der ihm fast bis zu den Knöcheln reichte. Der Kragen war nach oben geklappt, sodass sein riesiger Glatzkopf im Grunde das Einzige war, was ich von ihm sehen konnte. Nur hier und da sprossen auf dem Schädel borstige Haare ähnlich wie an der Schnauze eines Wildschweins.
»Gobija Zaksauskas«, sagte er mit schwerem Akzent, der osteuropäisch, russisch oder so ähnlich klang. Er hielt etwas in der Hand, irgendeinen Ausweis. »Bist du das?«
Sie nickte und flüsterte etwas auf Litauisch zurück.
»Diese Papiere sind falsch«, sagte der Mann. »Wie ist dein richtiger Name?«
»Tatiana Kazlauskieni.«
»Ich frage dich noch einmal. Wie lautet dein richtiger Name?«
»Amelia Earhart.«
»Elende Lügnerin«, schimpfte der Mann. »Findest du das lustig?«
»Ich finde es saulustig.«
»Dir werde ich zeigen, was lustig ist.« Er trat vor sie hin, wobei er mir die Sicht versperrte, und machte etwas Schnelles, Brutales mit seiner Hand. Es gab ein Klatschen,
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