Byrne & Balzano 02 - Mefisto
auch«, sagte Byrne.
Sie schaute ihn an, die Stirn gerunzelt. Byrne sah, dass sie leicht errötet war. Er konnte sie noch zum Erröten bringen. Das war gut.
»Du bist ein Scheißkerl. Aber deshalb mag ich dich.«
»Es stimmt.«
Sie zeigte auf ihr Gesicht. »Du weißt nicht, wie es ist, Kevin.«
»Doch.«
Victoria hob den Blick und wartete auf eine Erklärung. Gruppentherapien bestimmten ihren Alltag, und dort erzählte jeder seine Geschichte.
Byrne dachte kurz nach. Darauf war er nicht vorbereitet gewesen. »Nachdem die Kugel mich getroffen hatte, konnte ich immer nur an eines denken. Nicht, ob ich in den Job zurückkehren würde. Nicht, ob ich wieder auf die Straße gehen könnte oder ob ich wieder auf die Straße gehen wollte. Ich dachte nur an Colleen.«
»Deine Tochter?«
»Ja.«
»Was ist mit ihr?«
»Ich hatte mich ständig gefragt, ob sie mich je wieder mit denselben Augen betrachten würde. Ich meine, ich war ihr Leben lang der Mann gewesen, der auf sie aufgepasst hatte. Ihr großer, starker Daddy. Ihr Vater, der Cop. Es jagte mir eine Höllenangst ein, dass sie mich so klein und geschwächt sehen könnte. Nachdem ich aus dem Koma erwacht war, kam sie allein ins Krankenhaus. Meine Frau war nicht bei ihr. Ich lag im Bett. Mein Haar war fast vollständig abrasiert worden, und ich hatte zwanzig Pfund Gewicht verloren. Wegen der starken Schmerzmittel fiel ich immer wieder in einen Dämmerzustand. Ich hob den Blick und sah sie am Fußende meines Bettes stehen. Ich schaute ihr ins Gesicht und sah es.«
»Was?«
Byrne zuckte mit den Schultern. »Mitleid. Zum ersten Mal sah ich in den Augen meines kleinen Mädchens Mitleid. Auch Liebe und Respekt, aber das Mitleid brach mir das Herz. Ich dachte daran, dass ich in diesem Augenblick nicht in der Lage gewesen wäre, irgendetwas für sie zu tun, wenn sie Schwierigkeiten gehabt hätte, wenn sie mich gebraucht hätte.« Byrne schaute auf den Stock. »Und heute bin ich auch nicht viel besser in Form.«
»Das wird wieder. Du wirst sehen.«
»Nein«, sagte Byrne. »Das glaube ich nicht.«
»Männer wie du kommen immer wieder auf die Beine.«
Jetzt errötete Byrne. Er kämpfte dagegen an. »Männer wie ich?«
»Ja. Du bist ein großer, stattlicher Mann, aber das ist es nicht, was dich stark macht. Was dich stark macht, ist in dir.«
»Hm…« Byrne wusste dieses Kompliment zu würdigen. Er trank seinen Kaffee aus und spürte, dass es jetzt Zeit war. Es gab keine Möglichkeit, das, was er ihr sagen musste, in schöne Worte zu fassen. Er öffnete den Mund und sagte: »Er ist raus.«
Victoria hielt seinem Blick einen Augenblick stand. Byrne brauchte seine Aussage nicht zu erläutern. Er brauchte nichts hinzuzufügen. Er musste nicht erklären, wen er mit ›er‹ meinte.
»Raus«, sagte Victoria.
»Ja.«
Victoria nickte und versuchte zu begreifen. »Wie kann das sein?«
»Gegen seine Verurteilung wurde Berufung eingelegt. Der Bezirksstaatsanwalt glaubt, es könnte Beweise geben, dass ihm der Mord an Marygrace Devlin angehängt wurde.« Byrne erzählte ihr alles, was er über das angeblich am Tatort zurückgelassene Beweisstück wusste. Victoria erinnerte sich gut an Jimmy Purify.
Sie strich sich durchs Haar, wobei ihre Hand leicht zitterte. Kurz darauf hatte sie sich wieder gefasst. »Es ist komisch, aber ich habe keine richtige Angst mehr vor ihm. Als er mich angegriffen hat, dachte ich, ich hätte viel zu verlieren. Mein Aussehen, mein … Leben, das ich damals führte. Lange Zeit hat dieser Mann mir Albträume bereitet. Aber jetzt…«
Victoria zuckte mit den Schultern und drehte den Kaffeebecher in den Händen. Sie sah empfindsam und verletzbar aus, doch in Wahrheit war sie zäher als er. Hätte er die Kraft, mit einem zerschnittenen Gesicht wie ihrem erhobenen Hauptes die Straße entlangzugehen? Nein. Wahrscheinlich nicht.
»Er wird es wieder tun«, sagte Byrne.
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß es einfach.«
Victoria nickte.
»Ich muss ihn daran hindern«, sagte Byrne.
Als er diese Worte sagte, drehte die Erde sich weiter. Der Himmel nahm keine verhängnisvolle graue Farbe an, und die Wolken spalteten sich nicht.
Victoria wusste, was er meinte. Sie beugte sich zu ihm vor und fragte leise: »Wie?«
»Zuerst muss ich ihn finden. Er wird mit Sicherheit Kontakt zu seinen ehemaligen Kumpanen aus der Unterwelt aufnehmen, diesen Pornofreaks und Sadomaso-Typen.« Byrne hatte das Gefühl, sich vielleicht doch zu harsch ausgedrückt zu haben. Auch
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