Byrne & Balzano 02 - Mefisto
Kindheitserinnerungen gehörte das Bild ihrer Großfamilie, die aus zahlreichen Polizisten bestand. Nach dem Tod ihrer Mutter war sie in einer Familie blauer Uniformen aufgewachsen. Ihre frühesten Erinnerungen waren mit einem Haus voller Polizisten verknüpft. Sie erinnerte sich an eine Polizeibeamtin, die sie abgeholt hatte, um mit ihr bei Wannamaker's Schulkleidung zu kaufen. Auf der Straße vor dem Haus hatten immer Streifenwagen geparkt.
»Sieh mal«, begann Peter. »Nachdem deine Mutter gestorben war, wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich hatte zwei kleine Kinder, einen Sohn und eine Tochter, und einen Job, der mir alles abverlangte. Ich konnte an vielen Dingen eures Lebens nicht teilhaben.«
»Das ist nicht wahr, Dad, du…«
Peter hob eine Hand, um Jessica zu unterbrechen. »Machen wir uns doch nichts vor, Jess.«
Jessica unterließ es, ihren Vater noch einmal zu unterbrechen, auch wenn er im Irrtum war.
»Und nachdem Michael dann…« In den letzten fünfzehn Jahren hatte Peter diesen Satz niemals beendet.
Jessicas älterer Bruder Michael war 1991 in Kuwait gefallen. An jenem Tag zog ihr Vater sich in sein Schneckenhaus zurück und ließ keine Gefühle mehr zu. Erst als Sophie geboren wurde, wagte er sein Herz wieder zu öffnen.
Nach Michaels Tod handelte Peter Giovanni im Job immer unbesonnener. Für einen Bäcker oder Schuhverkäufer ist es nicht das Schlimmste auf der Welt, unbesonnen zu sein. Für einen Cop ist es das Schlimmste. Als Jessica ihre goldene Plakette bekam, war dies für Peter wie ein Fingerzeig. Er beantragte noch am selben Tag die Versetzung in den Ruhestand.
Peter verdrängte die Erinnerungen. »Du bist jetzt seit ungefähr acht Jahren dabei, nicht wahr?«
Jessica wusste, dass ihr Vater ganz genau wusste, seit wann sie bei der Polizei arbeitete. Wahrscheinlich auf die Woche, den Tag und die Stunde genau. »Ja, so ungefähr.«
Peter nickte. »Bleib nicht zu lange dabei. Mehr will ich dazu nicht sagen.«
»Was heißt zu lange?«
Peter lächelte. »Achteinhalb Jahre.« Er umklammerte Jessicas Hand und drückte sie. Sie gingen weiter. Er schaute ihr in die Augen. »Du weißt, dass ich stolz auf dich bin, nicht wahr?«
»Ich weiß, Pa.«
»Ich meine, du bist dreißig Jahre alt und arbeitest schon in der Mordkommission. Du ermittelst in richtigen Fällen. Deine Arbeit bewirkt etwas.«
»Das hoffe ich«, erwiderte Jessica.
»Aber die Zeit wird kommen, da du dem Job hilflos ausgeliefert bist.«
Jessica wusste genau, was er meinte.
»Ich mache mir nur Sorgen um dich, mein Schatz.« Peter verstummte. Er war so bewegt, dass er dem nichts hinzufügte.
Ohne weiter auf das Thema einzugehen, betraten sie Ralphs und setzten sich an einen Tisch. Wie immer bestellten sie Cavatelli mit Fleischsauce. Sie sprachen nicht mehr über den Job oder Verbrechen oder die Zustände in der Stadt der Brüderlichen Liebe. Stattdessen genoss Peter die Gesellschaft seiner beiden Mädchen.
Als sie sich trennten, umarmten sie sich ein wenig länger als sonst.
17.
»Warum möchtest du, dass ich es anziehe?«
Sie hält das weiße Kleid vor ihren Körper. Es ist ein T-Shirt-Kleid mit V-Ausschnitt und langen Ärmeln, an den Hüften ausgestellt und knielang. Ich musste eine Weile suchen, um eines aufzutreiben, aber schließlich fand ich es in einem Billigladen der Heilsarmee in Upper Darby. Es ist ein preiswertes Kleid, doch an ihrem Körper wird es toll aussehen. Diese Kleider waren in den Achtzigern modern.
Heute Nacht ist 1987.
»Weil ich glaube, dass es dir gut steht.«
Sie dreht den Kopf und lächelt verhalten. Schüchtern und prüde. Ich hoffe, das wird kein Problem sein. »Du bist verrückt, stimmt's?«
»Schuldig im Sinne der Anklage.«
»Sonst noch was?«
»Ich möchte dich Alex nennen.«
Sie lacht. »Alex?«
»Ja.«
»Warum?«
»Sagen wir, es ist eine Art Test deiner Kameratauglichkeit.«
Sie denkt eine Zeit lang darüber nach, hält das Kleid noch einmal hoch und betrachtet sich im großen Standspiegel. Schließlich scheint ihr die Idee zu gefallen.
»Warum eigentlich nicht?«, sagt sie. »Ich bin ein bisschen betrunken.«
»Ich bin hier draußen, Alex«, sage ich.
Sie geht ins Badezimmer und sieht, dass ich Wasser in die Badewanne habe laufen lassen. Sie zuckt mit den Schultern und schließt die Tür.
Ihre Wohnungseinrichtung besteht aus einem Sammelsurium zusammengewürfelter Sofas, Tische, Bücherregale, Bilder und Teppiche, die ihr vermutlich Verwandte geschenkt haben. Und
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