Byrne & Balzano 02 - Mefisto
dem Karton. »Auf dem Karton steht zwanzig.«
»Das ist eine Fünf.«
»Es ist eine Zwei.«
Der Junge schüttelte den Kopf. Er trat vor die Kiste und versperrte Byrne die Sicht. »Nee. Das sind reinrassige Hunde.«
»Reinrassige Hunde?«
»Ja.«
»Sicher?«
»Hundertpro.«
»Wie heißt die Rasse denn?«
»Philadelphia-Pitbulls.«
Byrne musste lächeln. »Wirklich wahr?«
»Klar«, sagte der Junge.
»Von dieser Rasse hab ich noch nie gehört.«
»Das sind die Besten, Mann. Sie machen ihre Geschäfte draußen, bewachen das Haus und fressen nicht viel.« Der Junge lächelte. Killer-Charme. Vermutlich war der weitere Lebensweg des Jungen in die eine oder andere Richtung schon heute vorgezeichnet.
Byrne schaute Victoria an. Er war jetzt milder gestimmt. Ein wenig. Er versuchte es zu verbergen.
Byrne setzte den Welpen zurück in den Karton und schaute die Jungen an. »Ist es nicht ein bisschen spät für Jungs in eurem Alter, euch noch draußen herumzutreiben?«
»Spät? Nee, Mann. Es ist früh. Wir sind früh auf den Beinen. Wir sind Geschäftsleute.«
»Okay«, sagte Byrne. »Macht mir ja keinen Ärger.«
Victoria hakte sich bei ihm ein, als sie sich umdrehten und davongingen.
»Wollen Sie den Hund nicht?«, fragte der Junge.
»Heute nicht«, sagte Byrne.
»Vierzig, weil Sie es sind«, sagte der Junge.
»Ich sag dir morgen Bescheid.«
»Morgen sind die Hunde vielleicht weg.«
»Ich auch«, sagte Byrne.
Der Junge zuckte die Schultern. Warum auch nicht?
Er hatte alle Zeit der Welt.
***
Als sie zu Victorias Wagen in der Dreizehnten Straße zurückgekehrt waren, sahen sie, dass drei Jugendliche das Fahrerfenster eines Van auf der anderen Straßenseite mit einem Ziegelstein einschlugen und den Alarm auslösten. Einer griff in den Wagen und schnappte sich, was auf dem Vordersitz lag. Es sah nach zwei 35-mm-Kameras aus. Als die Jugendlichen Byrne und Victoria erblickten, rannten sie davon. Eine Sekunde später waren sie verschwunden.
Byrne und Victoria wechselten einen Blick und schüttelten beide den Kopf. »Warte«, sagte Byrne. »Ich bin gleich wieder da.«
Er überquerte die Straße und drehte sich im Kreis, um sich zu vergewissern, dass niemand in der Nähe war. Nachdem er den Führerschein von Gregory Wahl mit einem Zipfel seines Hemdes abgewischt hatte, warf er ihn durch das zersplitterte Fenster in den Wagen.
***
Victoria Lindstrom lebte in einer kleinen Wohnung in Fishtown. Die Einrichtung hatte eine typisch weibliche Note: französische Landhausmöbel, hauchdünne Tücher über den Lampen, Blumentapeten. Wohin Byrne seinen Blick auch wandte, sah er Wolldecken oder Strickzeug. Byrne stellte sich vor, wie Victoria an vielen Abenden allein in ihrer Wohnung saß, mit Stricknadeln in der Hand, ein Glas Chardonnay an ihrer Seite. Ihm war auch aufgefallen, dass es in der Wohnung dämmerig war, obwohl alle Lichter brannten. In sämtlichen Lampen steckten Glühbirnen mit geringer Wattzahl. Er konnte es verstehen.
»Möchtest du etwas trinken?«, fragte sie.
»Klar.«
Sie schenkte ihm einen doppelten Bourbon ein und reichte ihm das Glas. Byrne setzte sich auf die Sofalehne.
»Wir versuchen es morgen Nacht noch einmal«, sagte Victoria.
»Ich bin dir wirklich sehr dankbar, Tori.«
Victoria winkte ab. Byrne wusste, was diese Geste bedeutete. Victoria hatte großes Interesse daran, dass Julian Matisse von der Bildfläche verschwand. Für immer.
Byrne leerte das halbe Glas in einem Zug. Fast augenblicklich traf der Alkohol auf die Schmerzmittel in seinem Blutkreislauf, worauf sich angenehme Wärme in seinem Körper ausbreitete. Aus diesem Grunde hatte er die ganze Nacht nichts getrunken. Er schaute auf die Uhr und beschloss, sich auf den Weg zu machen. Er hatte Victorias Zeit lange genug in Anspruch genommen.
Victoria brachte ihn zur Tür.
An der Tür schlang sie die Arme um seine Taille und legte den Kopf an seine Brust. Sie hatte die Schuhe ausgezogen, und auf Strümpfen wirkte sie klein. Byrne war nie aufgefallen, wie klein Victoria war. Es war ihre innere Stärke, die ihr Größe verlieh.
Kurz darauf hob sie den Blick zu ihm. Ihre silbernen Augen schimmerten beinahe schwarz im Dämmerlicht. Was als Verabschiedung eines alten Freundes mit einer freundschaftlichen Umarmung und einem Kuss auf die Wange begann, wandelte sich plötzlich. Victoria zog Byrne an sich und küsste ihn leidenschaftlich. Dann lösten sie sich aus der Umarmung und warfen sich einen Blick zu, in dem sich eher
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