Byrne & Balzano 02 - Mefisto
Ort wie dieser der Schauplatz einer so furchtbaren Szene gewesen sein sollte. Die Bäume standen in voller Blüte; die Schiffe am Dock schaukelten sanft auf dem Wasser. Sie wollte gerade etwas erwidern, als ihr Funkgerät knatterte.
»Ja.«
»Detective Balzano?«
»Ja.«
»Wir haben etwas gefunden.«
Es handelte sich um einen Saturn, Baujahr 1996, der eine Viertelmeile von der kleinen Wache der Wasserschutzpolizei entfernt im Fluss versenkt worden war. Die Wache auf dem Kelly Drive war nur tagsüber besetzt; daher hätte im Schutze der Dunkelheit niemand gesehen, wenn jemand einen Wagen in den Schuylkill River gestoßen hätte. Die Nummernschilder fehlten. Sie würden den Fahrzeughalter anhand der Fahrgestellnummer ermitteln, vorausgesetzt, es gab sie noch und sie war noch lesbar.
Als der Wagen die Wasseroberfläche durchstieß, wandten sich aller Augen Jessica zu, und alle hoben die Daumen. Byrne schaute sie an. In seinem Blick spiegelten sich Respekt und eine Spur Bewunderung. Jessica bedeutete das sehr viel.
***
Der Schlüssel steckte im Zündschloss. Nachdem eine Reihe Fotos gemacht worden waren, zog ein Kollege der Spurensicherung den Schlüssel aus dem Schloss und öffnete den Kofferraum. Terry Cahill und ein halbes Dutzend Detectives umstanden den Wagen.
Den Blick in den Kofferraum würde keiner von ihnen so schnell vergessen.
Die Frau war auf bestialische Weise zugerichtet. Der Killer hatte mehrmals zugestochen, und da die Leiche längere Zeit im Wasser lag, hatten die meisten kleineren Wunden sich zusammengezogen und geschlossen. Die größeren Wunden – vor allem auf dem Bauch und an den Oberschenkeln – sonderten eine brackige braune Flüssigkeit ab.
Da die Leiche im Schutz des Kofferraums gelegen hatte, war sie nicht mit Unrat bedeckt. Das dürfte die Arbeit des Gerichtsmediziners ein wenig erleichtern. Der hatte aufgrund der beiden großen Flüsse in Philadelphia große Erfahrung mit Wasserleichen.
Die Frau war nackt. Sie lag auf dem Rücken, die Arme neben dem Körper, den Kopf zur linken Seite gedreht. Die Stichwunden waren zu zahlreich, um sie alle am Fundort zu zählen. Die Schnitte hatten glatte Wundränder, was bewies, dass sich weder außerhalb des Wassers noch im Wasser irgendwelche Tiere über die Leiche hergemacht hatten.
Jessica zwang sich, dem Opfer ins Gesicht zu sehen. Die Augen der Frau waren geöffnet und rot gerändert. Geöffnet, aber vollkommen ausdruckslos. Keine Angst, keine Wut, kein Leid lag darin. Das waren Gefühle eines lebenden Menschen.
Jessica dachte an die Originalszene in Psycho, als die Kamera von einer Nahaufnahme von Janet Leighs Gesicht zurückfuhr, und wie hübsch und unversehrt das Gesicht der Schauspielerin in dieser Aufnahme aussah. Als sie die junge Frau im Kofferraum des Wagens betrachtete, dachte sie daran, wie sehr die Realität sich von der Film-Welt unterschied. Im Gegensatz zur Schauspielerin war die Ermordete nicht geschminkt. So sah der Tod in Wahrheit aus.
Die beiden Detectives streiften Latexhandschuhe über.
»Sieh mal hier«, sagte Byrne.
»Was denn?«
Byrne zeigte auf die aufgeweichte Zeitung rechts im Kofferraum. Es war eine Ausgabe der Los Angeles Times. Vorsichtig klappte er die Zeitung mit einem Bleistift auf und entdeckte aufgestapelte rechteckige Papierstücke.
»Was ist das? Falschgeld?«, fragte Byrne. In der Zeitung lagen mehrere Stapel Papier, wobei es sich offenbar um kopierte Hundert-Dollar-Scheine handelte.
»Ja«, sagte Jessica.
»Ist ja großartig.«
Jessica beugte sich vor und sah sich das Geld genauer an. »Um was wetten wir, dass es vierzigtausend Dollar Falschgeld sind?«, fragte sie.
»Ich kann dir nicht folgen«, meinte Byrne.
»In Psycho stiehlt die von Janet Leigh gespielte Marion Crane ihrem Chef vierzig Riesen. Sie kauft eine Zeitung aus Los Angeles und wickelt das Geld darin ein. Im Film ist es die Los Angeles Tribune, aber diese Zeitung gibt es nicht mehr.«
Byrne blickte sie verwundert an. »Woher weißt du das?«
»Hab ich im Internet gefunden.«
»Im Internet«, murmelte Byrne. Er beugte sich hinunter, stocherte in dem Falschgeld herum und schüttelte den Kopf. »Dieser verdammte Scheißkerl!«
In diesem Augenblick traf Tom Weyrich, der Gerichtsmediziner, mit seinem Fotografen am Fundort ein. Die Detectives traten zurück, damit Dr. Weyrich mit seiner Arbeit beginnen konnte.
Als Jessica ihre Handschuhe auszog und die frische Luft eines neuen Tages einatmete, freute sie sich, dass sie den
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