Byrne & Balzano 02 - Mefisto
Anwalt?
Bis sie das zweite Opfer identifiziert hatten, blieb die Beziehung zwischen den beiden Frauen eine reine Vermutung. Als Erstes würden sie nun ein Foto des zweiten Opfers aus dem Film ausdrucken und es überall dort herumzeigen, wo sie im Fall Stephanie Chandler ermittelt hatten. Wenn sie nachweisen könnten, dass Stephanie Chandler das zweite Opfer gekannt hatte, müsste es relativ einfach sein, die zweite Frau zu identifizieren und die Verbindung zwischen ihnen herzustellen. Die Detectives gingen davon aus, dass bei beiden Mordfällen ungeheure Wut im Spiel war, und das wiederum wies auf eine gewisse Intimität zwischen Opfer und Täter hin, auf ein gewisses Maß an Vertrautheit, die nicht durch eine Zufallsbekanntschaft entstanden sein konnte, worauf auch die Grausamkeit hindeutete.
Jemand hatte zwei junge Frauen ermordet und das Bedürfnis – wie seine Geistesschwäche sich im Alltagsleben auch auswirken mochte –, den Mord auf Band aufzuzeichnen. Nicht zwangsläufig, um die Polizei zu verspotten, sondern eher, um ein ahnungsloses Publikum zu Tode zu erschrecken. Hierbei handelte es sich sicherlich um eine Mordmethode, mit der keiner der ermittelnden Beamten es bisher jemals zu tun gehabt hatte.
Diese Menschen verband etwas. Sie mussten die Verbindungen und die Gemeinsamkeiten finden, die Parallelen zwischen den beiden Leben, dann würden sie auch den Killer finden.
Mateo Fuentes fertigte ein ziemlich gutes Foto der jungen Frau aus Eine verhängnisvolle Affäre für die Detectives an. Eric Chavez überprüfte bereits die eingegangenen Vermisstenmeldungen. Wenn das Opfer vor mehr als zweiundsiebzig Stunden ermordet worden war, bestand die Möglichkeit, dass bereits eine Vermisstenmeldung vorlag. Die anderen Ermittler versammelten sich in Buchanans Büro.
»Woher haben wir den Film?«, fragte Jessica.
»Von einem Kurier«, sagte Buchanan.
»Von einem Kurier?«, fragte Jessica. »Ändert der Täter jetzt seine Methode?«
»Das wissen wir nicht genau. Doch auf der Kassette klebte noch eine Ecke des Labels.«
»Wissen wir, woher der Film stammt?«
»Noch nicht«, sagte Buchanan. »Der größte Teil des Labels war abgekratzt, aber es war noch ein Fetzen vom Strichcode übrig. Die Spezialisten von der Kriminaltechnik nehmen das gerade unter die Lupe.«
»Welcher Kurierdienst hat uns den Film gebracht?«
»Ein kleines Unternehmen in der Market Street, Blazing Wheels. Fahrradkuriere.«
»Wissen wir, wer den Film verschickt hat?«
Buchanan schüttelte den Kopf. »Nach Aussage des jungen Mannes, der den Film ausgeliefert hat, traf er sich mit einem Mann im Starbucks an der Ecke Fourth und South. Der Mann hat bar bezahlt.«
»Muss man denn kein Auftragsformular ausfüllen?«
»Alle Angaben waren falsch. Name, Adresse, Telefon. Alles erfunden.«
»Kann der Fahrradkurier den Mann beschreiben?«
»Er sitzt gerade bei unserem Phantombildzeichner.«
Buchanan hielt den Film in die Höhe.
»Wir müssen diesen Kerl um jeden Preis schnappen, Leute«, sagte er. Jeder wusste, was er meinte. Dieser Fall genoss absolute Priorität. Bis sie diesen Psychopathen zur Strecke gebracht hatten, war essen im Stehen angesagt, und an schlafen war gar nicht mehr zu denken. »Findet diesen Scheißkerl!«
39.
Das kleine Mädchen im Wohnzimmer war kaum groß genug, um über den Couchtisch zu schauen. Die Zeichentrickfiguren im Fernsehen sprangen, tanzten, rannten und machten verrückte Bewegungen in lärmenden, bunten Bildern. Das kleine Mädchen kicherte.
Faith Chandler versuchte, sich zu konzentrieren. Sie war todmüde.
In dem Raum zwischen den Erinnerungen (wo waren die Jahre geblieben?) wurde das kleine Mädchen zwölf und wechselte auf die Junior-Highschool – ein liebes Mädchen, das die letzten Augenblicke erlebte, ehe die Langeweile und das Elend der Pubertät von seinem Geist und die brodelnden Hormone von seinem Körper Besitz ergriffen. Noch immer ihr kleines Mädchen. Bändchen und Lächeln.
Faith wusste, dass sie etwas tun musste, aber sie konnte nicht klar denken. Ehe sie in die Stadt gefahren war, hatte sie ein Telefonat geführt. Jetzt war sie wieder zu Hause. Sie sollte nochmals dort anrufen. Aber wen? Was sollte sie sagen?
Auf dem Tisch standen drei volle Flaschen, und vor ihr stand ein volles Glas. Zu viel. Nicht genug. Niemals genug.
Gott, schenke mir Gelassenheit…
Es gibt keine Gelassenheit.
Noch einmal wandte sie den Blick nach links ins Wohnzimmer. Das kleine Mädchen war verschwunden.
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