Byrne & Balzano 02 - Mefisto
mit Größe sechsunddreißig bei der Polizei angefangen hatten und die nach ein paar Jahren gerade noch in zweiundvierzig passten. Das war einer der Gründe, warum Jessica mit dem Boxen angefangen hatte. Bei diesem Sport war eiserne Disziplin unverzichtbar.
Als ihr diese Gedanken durch den Kopf gingen, stieg ihr der Duft warmen Gebäcks in die Nase, der über die Rolltreppe von dem Café im ersten Stock nach oben zog. Wie konnte es auch anders sein. Höchste Zeit zu gehen.
In ein paar Minuten wollte sie sich mit Terry Cahill treffen. Sie hatten vor, in den Coffee Shops und Imbissstuben in der Nähe von Stephanie Chandlers Arbeitsstelle Befragungen durchzuführen. Bis zur Identifizierung des zweiten Opfers des Filmemachers konnten sie nichts anderes tun.
In der Nähe der Kasse auf der Etage mit der größten Verkaufsfläche der Buchhandlung entdeckte Jessica einen großen Bücherständer mit dem Hinweisschild: PHILADELPHIA. Auf dem Ständer waren zahlreiche Bücher über die Stadt ausgestellt, größtenteils kleine kartonierte Ausgaben über die Geschichte, die Sehenswürdigkeiten und interessante Bürger Philadelphias. Ein Titel sprang ihr ins Auge:
Götter des Chaos: Eine Geschichte der Kinomorde.
Es war ein Buch über Kriminalfilme und die unterschiedlichen Motive und Themen, von schwarzen Komödien wie Fargo – Blutiger Schnee über klassische Filme der Schwarzen Serie wie Frau ohne Gewissen bis hin zu dem absonderlichen Experimentalfilm Mann beißt Hund.
Der Titel weckte Jessicas Interesse. Sie überflog den kurzen Klappentext mit Informationen über den Autor. Ein Mann namens Nigel Butler, Dr. phil. Professor für Filmstudien an der Drexel University.
Als Jessica die Tür erreichte, hatte sie ihr Handy bereits am Ohr.
***
Die 1891 gegründete Drexel University in der Chestnut Street in West-Philadelphia verfügte über ein angesehenes College für Medienkunst und Mediendesign, an dem auch Drehbuch-Seminare gehalten wurden.
In der kurzen Biographie auf der Rückseite des Buches war zu lesen, dass Nigel Butler zweiundvierzig Jahre alt war, doch in Wahrheit sah er viel jünger aus. Der Mann auf dem Foto des Buches hatte einen grau melierten Bart. Der Mann in der schwarzen Wildlederjacke, der Jessica gegenüberstand, war glatt rasiert, und die Tatsache machte ihn zehn Jahre jünger.
Sie trafen sich in seinem kleinen Büro, in dem sich eine Unmenge an Büchern angesammelt hatte. An den Wänden hingen sorgfältig gerahmte Filmposter aus den Dreißiger- und Vierzigerjahren, wobei es sich hauptsächlich um Filme der Schwarzen Serie handelte: Criss Cross – Überleben in Key West, Phantom Lady, Die Narbenhand. Außerdem zierte eine Reihe großer Porträts die Wände, die Nigel Butler als Tevye, Willy Loman, König Lear und Ricky Roma zeigten.
Jessica stellte sich und Terry Cahill vor. Sie übernahm die Befragung.
»Es geht um den Mord in dem Videofilm, nicht wahr?«, fragte Butler.
Sie hatten der Presse die meisten Details vorenthalten, doch der Inquirer hatte berichtet, dass die Polizei in einem sonderbaren Mord ermittle, den jemand gefilmt hatte.
»Ja, Sir«, sagte Jessica. »Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen und zähle auf Ihre Diskretion.«
»Versprochen«, sagte Butler.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Dr. Butler.«
»Ich lege keinen Wert auf diese förmliche Anrede. Nennen Sie mich einfach Nigel.«
Jessica skizzierte grob den Fall und sprach kurz über die zweite Videokassette, wobei sie die schauerlichen Details und sämtliche Fakten ausließ, die die Ermittlungen gefährden könnten. Mit unbewegter Miene hörte Butler ihr zu. Als sie verstummte, fragte er: »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Wir versuchen zu begreifen, warum er das tut und wohin das noch führen kann.«
»Natürlich.«
Seitdem Jessica den manipulierten Psycho zum ersten Mal gesehen hatte, quälte sie ein Gedanke. Sie beschloss, Butler zu fragen. »Macht hier jemand Snuff-Filme?«
Butler lächelte und schüttelte seufzend den Kopf.
»Habe ich etwas Komisches gesagt?«, fragte Jessica.
»Tut mir leid«, sagte Butler. »Es ist nur, dass sich kein anderes Märchen so hartnäckig hält wie das von den Snuff-Filmen.«
»Wie habe ich das zu verstehen?«
»Es gibt diese Filme nicht. Zumindest habe ich noch nie einen gesehen. Und das gilt auch für meine Kollegen.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie sich so etwas ansehen würden, wenn Sie die Gelegenheit hätten?«
Butler dachte kurz über die Frage nach, ehe er
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