Byrne & Balzano 1: Crucifix
über dem Tal schwarz war, als ER am Kreuz hing.
Lauren Semanski war sehr stark. Als sie im letzten Jahr versucht hat, sich das Leben zu nehmen, habe ich sie betrachtet und mich gefragt, warum ein solch starker Mensch so etwas tut. Das Leben ist ein Geschenk. Das Leben ist ein Segen. Warum hatte sie versucht, es wegzuwerfen?
Warum hatte überhaupt eine von ihnen versucht, es wegzuwerfen?
Nicole wurde von ihren Klassenkameraden gehänselt, denn ihr Vater war Alkoholiker.
Tessa hatte die lange Krankheit und schließlich den Tod ihrer Mutter miterlebt und musste den langsamen Verfall ihres Vaters mit ansehen.
Bethany wurde wegen ihres Übergewichts verspottet.
Kristi hatte Probleme mit Magersucht.
Als ich sie behandelt habe, wusste ich, dass ich dem Herrn ein Schnippchen schlug. Sie selbst hatten diesen Weg eingeschlagen, und ich brachte sie davon ab.
Nicole und Tessa, Bethany und Kristi.
Und dann Lauren. Lauren hatte den tödlichen Unfall ihrer Eltern überlebt, um dann eines Nachts in die Garage zu gehen und den Motor anzulassen. Sie hatte ihr Plüschtier mitgenommen, Opus, den kleinen Pinguin, den ihre Mutter ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, als sie fünf Jahre alt war.
Heute hat ihr Körper nicht auf das Midazolam reagiert. Vermutlich nahm sie wieder Speed. Als sie die Tür aufstieß, fuhren wir fast dreißig Meilen die Stunde. Sie sprang aus dem Wagen. Einfach so. Der Verkehr war dicht, sodass ich nicht umkehren und sie einfangen konnte. Ich musste sie laufen lassen.
Es ist zu spät, meine Pläne zu ändern.
Es ist die neunte Stunde.
Lauren war zwar das letzte Mysterium, aber ich werde es auch mit einem anderen Mädchen verwirklichen können, ein Mädchen mit glänzenden Locken und dem Heiligenschein der Unschuld.
Der Wind wird stärker, als ich am Bordstein halte und den Motor abstelle. Ein Unwetter wurde vorhergesagt. Heute Nacht wird es noch einen anderen Sturm geben, eine dunkle Abrechnung der Seele.
Das Licht in Jessicas Haus …
69.
Freitag, 20.55 Uhr
… ist hell und warm und einladend, ein einsamer Schimmer im verglühenden Licht der Dämmerung.
Er sitzt draußen in einem Wagen, vom Regen geschützt. In den Händen hält er einen Rosenkranz. Er denkt an Lauren Semanski und ihre Flucht. Sie war das fünfte Mädchen, das fünfte Mysterium, das letzte Stück seines Meisterwerks.
Dort ist Jessica. Er hat auch mit ihr noch eine Rechnung offen.
Jessica und ihre kleine Tochter.
Er überprüft die Dinge, die er vorbereitet hat: die Spritze, die Zimmermannskreide, die Nadel und den Faden der Segelmacher.
Er bereitet sich darauf vor, in die stürmische Nacht hinauszutreten …
Die Bilder kommen und gehen, mit spöttischer Klarheit, wie der Blick eines Ertrinkenden vom Grund eines chlorhaltigen Pools.
Kevin Byrne hatte unerträgliche Kopfschmerzen. Er verließ die Intensivstation, ging auf den Parkplatz und stieg in den Wagen. Er überprüfte seine Waffe. Regen prasselte auf die Windschutzscheibe.
Er ließ den Motor an und fuhr in Richtung Schnellstraße.
70.
Freitag, 21.00 Uhr
S ophie hatte schreckliche Angst vor Gewittern. Jessica wusste, woher sie das hatte. Es war Vererbung. Als Jessica ein kleines Mädchen war, versteckte sie sich unter der Treppe in dem Haus in der Catharine Street, wenn es donnerte und blitzte. Manchmal nahm sie auch eine Kerze mit in ihr Zimmer. Bis zu dem Tag, als sie eine Matratze in Brand gesetzt hatte.
Sie hatten wieder vor dem Fernseher zu Abend gegessen. Jessica war zu erschöpft, um Einwände zu erheben. Es war nicht so wichtig. Sie hatte ohnehin nur in ihrem Essen herumgestochert. In diesem Augenblick, da ihre Welt aus den Fugen geriet, war ihr Interesse an der Routine des täglichen Essens erloschen. Als sie an die Ereignisse des Tages dachte, verkrampfte sich ihr Magen. Wie hatte sie sich in Patrick nur so täuschen können?
Hatte sie sich getäuscht?
Die Bilder der Gräueltaten, die diesen Mädchen zugefügt worden waren, ließen sie nicht los.
Jessica hörte die Nachrichten auf dem Anrufbeantworter ab. Nichts Neues.
Vincent war bei seinem Bruder. Sie hob den Hörer ab, wählte die ersten Zahlen – und legte wieder auf.
Scheiße .
Sie wusch das Geschirr mit der Hand ab, um sich zu beschäftigen. Sie schenkte sich ein Glas Wein ein, schüttete es ins Spülbecken. Sie kochte sich eine Tasse Tee und vergaß, sie zu trinken.
Irgendwie gelang es ihr, die Zeit zu überbrücken, bis Sophie zu
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