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Byrne & Balzano 3: Lunatic

Titel: Byrne & Balzano 3: Lunatic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Montanari
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Blick in seine Augen.
    »Sing, Nachtigall«, sagte er.
    Diesmal war es ein Befehl. Sie sang Moon River . Jetzt fiel ihr der Text wieder ein, aber nicht die genaue Melodie. Ihr schauspielerisches Talent kam ihr zu Hilfe. Sie wusste, dass etwas Furchtbares passieren würde, wenn sie verstummte oder auch nur zögerte.
    Er sang mit ihr, während er das Boot losband, zum Heck ging und es anstieß. Er schaltete das Licht aus.
    Tara fuhr durch die Dunkelheit. Das kleine Boot stieß gegen die Seiten des schmalen Kanals. Sie versuchte, etwas zu erkennen, doch ihre Welt war noch immer nahezu pechschwarz. Von Zeit zu Zeit sah sie glänzendes Eis auf den Steinwänden. Der Kanal wurde jetzt schmaler. Das Boot schaukelte. Es war bitterkalt.
    Tara hörte ihn nicht mehr, doch sie sang weiter. Ihre Stimme hallte von den Wänden und der niedrigen Decke wieder. Sie klang kläglich und zittrig, aber sie durfte nicht aufhören.
    Vor ihr war Licht, trübes Tageslicht, das durch Risse in einer alten Holztür drang.
    Als das Boot gegen die Tür schlug, sprang diese auf. Jetzt war sie im Freien. Es sah so aus, als wäre die Dämmerung gerade hereingebrochen. Es schneite leicht. Über ihr ragten abgestorbene Äste wie schwarze Finger in den Perlmutthimmel. Tara versuchte, die Arme zu heben, konnte es aber nicht.
    Das Boot trieb auf eine Lichtung zu. Tara fuhr durch einen der schmalen Kanäle, die sich durch den Wald schlängelten. Das Wasser war von Laub, Ästen und Trümmern übersät. Auf beiden Seiten des Kanals standen hohe, verfallene Gebäude, deren Stützpfeiler wie gebrochene, schwarz verfaulte Rippen in einem vermoderten Brustkorb aussahen. Eines der winzigen Gebäude schien ein schiefes, baufälliges Pfefferkuchenhaus zu sein. Ein anderes sah wie ein Schloss aus. Wieder ein anderes ähnelte einer riesigen Muschel.
    Das Boot prallte gegen die gemauerten Ufer des Kanals, als es um eine Biegung bog. Jetzt war der Blick auf die Bäume durch ein großes Gebilde versperrt, das bestimmt sieben Meter hoch und fünf Meter breit war. Tara versuchte zu erkennen, was es sein könnte. Es sah wie das Märchenbuch eines Kindes aus. Es war in der Mitte aufgeschlagen, und auf der rechten Seite lag ein verblichenes rotes Band, von dem die Farbe abblätterte. Daneben stand ein großer Fels, wie man ihn in einem Wellenbrecher hätte finden können. Oben auf dem Felsen saß etwas.
    In diesem Augenblick kam bitterkalter Wind auf. Er schaukelte das Boot, schnitt Tara ins Gesicht und ließ ihre Augen tränen. Die Böe trug einen scheußlichen Tiergestank zu ihr herüber, sodass sich ihr der Magen umdrehte. Als das Boot sich kurz darauf nicht mehr bewegte und Taras Blick sich klärte, stand sie genau vor dem riesigen Märchenbuch. Sie las ein paar Wörter unten auf der linken Seite.
    Weit draußen auf dem Meer, wo das Wasser so blau ist wie die schönste Kornblume ...
    Tara schaute hinter das Buch. Ihr Peiniger stand am Ende des Kanals neben einem kleinen Gebäude, das wie eine alte Schule aussah. Er hielt einen Strick in der Hand. Er wartete auf sie.
    Ihr Gesang verstummte, und ihr entfuhr ein schriller Schrei.

33.
    U m sechs Uhr gab Byrne die Hoffnung fast auf, noch einmal einzuschlafen. Er fiel in einen Halbschlaf, während grässliche Albträume ihn quälten, in denen die Gesichter der Toten ihn anklagend anstarrten.
    Kristina Jakos. Walt Brigham. Laura Clarke.
    Um halb acht klingelte das Telefon. Byrne war doch noch einmal eingeschlafen. Als er das Klingeln hörte, fuhr ihm der Schreck durch alle Glieder. Nicht noch eine Leiche, dachte er. Bitte, keine neue Leiche.
    Er meldete sich. »Byrne.«
    »Hab ich dich geweckt?«
    Victorias Stimme brachte Sonnenschein in sein Herz. »Nein«, sagte er, und das entsprach fast der Wahrheit. Er hatte nur noch gedöst.
    »Frohe Weihnachten«, sagte sie.
    »Frohe Weihnachten, Tori. Wie geht es deiner Mutter?«
    Ihr leichtes Zögern sprach Bände. Marta Lindstrom war erst sechsundsechzig Jahre alt und litt schon an beginnender Demenz.
    »Gute Tage, schlechte Tage«, sagte Victoria. Eine lange Pause. Byrne wusste, was das bedeutete. »Ich glaube, ich muss wieder zu meiner Muter ziehen«, fügte sie hinzu.
    Nun war es also passiert. Obwohl beide es nicht wahrhaben wollten, hatten sie gewusst, dass es so kommen würde. Victoria hatte bereits einen verlängerten Urlaub genommen. Sie arbeitete im Passage House in der Lombard Street, einem Zufluchtsort für Mädchen, die von zu Hause ausgerissen waren.
    »Meadville ist gar

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