Byrne & Balzano 3: Lunatic
aufschlug, beschäftigte sich mit Illustrationen des Mondes. Holzschnitte, Radierungen, Aquarelle, Ölgemälde, Kohlezeichnungen. Jessica fand Illustrationen Galileos aus seiner Schrift Sidereus Nuncius , der »Sternenbote«. Es gab auch zahlreiche Tarot-Illustrationen.
Kein Bild ähnelte der Zeichnung, die sie auf Kristina Jakos’ Unterleib gefunden hatten.
Dennoch hatte Jessica das Gefühl, der Irrsinn des Mannes, den sie suchten, könnte möglicherweise in irgendeinem Brauchtum verwurzelt sein ... vielleicht in der Art, wie Pastor Greg es ihr beschrieben hatte.
Jessica lieh sich ein halbes Dutzend Bücher aus.
Als sie die Bücherei verlassen hatte, schaute sie hinauf zum Winterhimmel. Sie fragte sich, ob Kristina Jakos’ Mörder darauf wartete, dass der Mond aufging.
Als Jessica den Parkplatz überquerte, drehten ihre Gedanken sich um Hexen und Kobolde, Märchenprinzessinnen und Riesen. Sie konnte kaum glauben, dass diese Dinge sie nicht in Angst und Schrecken versetzt hatten, als sie ein kleines Mädchen gewesen war. Jessica erinnerte sich, dass sie ihrer Tochter Sophie, als diese drei oder vier gewesen war, unter anderem Märchen vorgelesen hatte, aber keines davon war so bizarr und brutal wie einige der Geschichten, die sie in den Büchern der Bibliothek gefunden hatte. Sie hatte nie groß darüber nachgedacht, erkannte nun aber, dass einige Geschichten ganz schön grausam waren.
Als sie den Parkplatz zur Hälfte überquert hatte, spürte sie, dass sich ihr jemand von rechts näherte. Schnell. Eine Ahnung sagte ihr, dass Ärger bevorstand. Sie wirbelte herum, während sie mit der rechten Hand instinktiv ihren Mantel aufschlug.
Es war Pastor Greg.
Beruhige dich, Jess. Es ist nicht der große böse Wolf. Der Mann ist orthodoxer Priester.
»Hallo«, sagte Pastor Greg. »Sie hier?«
»Hallo.«
»Ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt.«
»Haben Sie nicht«, log Jessica.
Sie senkte den Blick. Pastor Greg hielt ein Buch in der Hand. Es schien tatsächlich ein Märchenbuch zu sein.
»Ich wollte Sie heute sowieso noch anrufen«, sagte er.
»Ach ja? Und warum?«
»Seit unserem Telefonat geht mir diese Sache nicht mehr aus dem Kopf«, sagte er und hielt das Buch hoch. »Sie können sich bestimmt vorstellen, dass Volksmärchen und Fabeln in der Kirche nicht allzu verbreitet sind. Bei uns gibt es schon genug, das man nur schwer glauben kann.«
Jessica lächelte. »Das ist in der katholischen Kirche nicht anders.«
»Jedenfalls werde ich mir diese Geschichten mal ansehen. Vielleicht finde ich für Sie einen Hinweis auf den ›Mond‹.«
»Nett von Ihnen, aber das ist nicht nötig.«
»Es ist wirklich kein Problem«, sagte Pastor Greg. »Ich lese gerne.« Er wies mit dem Kinn auf einen Wagen, einen Van, neues Modell, der in der Nähe parkte. »Kann ich Sie irgendwo absetzen?«
»Nein, danke«, erwiderte Jessica. »Ich bin mit dem Wagen hier.«
Pastor Greg schaute auf die Uhr. »Tja, ich muss jetzt in die Welt der Schneemänner und der hässlichen Entenküken«, sagte er. »Wenn ich etwas finde, melde ich mich.«
»Das wäre nett, Pastor Greg. Danke.«
Er ging zu dem Van, öffnete die Tür und drehte sich zu Jessica um. »Es ist auch der perfekte Abend dafür.«
»Wie meinen Sie das?«
Pastor Greg lächelte. »Heute Abend ist Vollmond.«
35.
A ls Jessica ins Roundhouse zurückkehrte, klingelte ihr Telefon, noch ehe sie ihren Mantel ausgezogen und sich gesetzt hatte. Der diensthabende Officer in der Einganghalle des Roundhouse informierte sie, dass jemand auf dem Weg zu ihr sei. Ein paar Minuten später betrat ein uniformierter Polizist das Büro. Bei ihm war Will Pedersen, der Maurer, den Jessica am Fundort der Leiche in Manayunk vernommen hatte. Heute trug Pedersen ein Jackett und Jeans. Er war ordentlich gekämmt und trug eine Brille mit Horngestell.
Er reichte Jessica und Byrne die Hand.
»Was können wir für Sie tun?«, fragte Jessica.
»Sie haben gesagt, ich soll mich melden, wenn mir noch etwas einfällt.«
»Ja.«
»Ich habe über diesen Morgen nachgedacht. Den Morgen, als wir uns in Manayunk getroffen haben.«
»Was ist damit?«
»Wie ich Ihnen schon sagte, habe ich in letzter Zeit oft dort gearbeitet. Die Gebäude sind mir sehr vertraut. Je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto klarer wurde mir, dass da etwas anders war.«
»Anders?«, fragte Jessica. »Was meinen Sie damit?«
»Mit den Graffiti.«
»Den Graffiti? An dem ehemaligen
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