Byrne & Balzano 3: Lunatic
Doch Byrne hatte hinter die Fassade geschaut und das Gespenst gesehen. Wenn er sein eigenes Gesicht eingehend im Spiegel betrachtete – was er neuerdings immer seltener tat –, hätte er es vermutlich auch bei sich selbst entdeckt.
Der Gedanke an die Stadt Meadville wurde immer verlockender.
Byrne verlangsamte sein Tempo und dachte über den Fall nach. Seinen Fall. Die Morde am Fluss. Er wusste, dass er alles niederreißen und ganz von vorn beginnen musste. Er hatte schon Psychopathen dieses Schlages getroffen – Mörder, die etwas nachspielten, was wir alle jeden Tag sahen und als selbstverständlich betrachteten.
Lisette Simon war das erste Opfer. Davon gingen sie jedenfalls aus. Eine einundvierzigjährige Frau, die in einer psychiatrischen Klinik gearbeitet hatte. Vielleicht hatte der Killer dort angefangen. Vielleicht hatte er Lisette kennen gelernt, als er bei ihr in Behandlung gewesen war, wodurch irgendetwas zutage gefördert wurde, was diese entsetzliche Mordserie ausgelöst hatte.
Zwanghafte Mörder begannen in der Nähe ihres Wohnorts.
Der Name des Killers steht in den Computerausdrucken.
Ehe Byrne das Roundhouse betreten hatte, spürte er, dass jemand sich ihm näherte.
»Kevin.«
Byrne wirbelte herum. Vincent Balzano. Byrne hatte vor ein paar Jahren mit Vincent gemeinsam in einem Fall ermittelt. Und er hatte Vincent bei zahlreichen Betriebsfeiern mit Jessica gesehen. Byrne mochte ihn. Er wusste, dass Vincent sich in seinem Job oft unorthodoxer Methoden bediente und sich mehr als einmal in Gefahr gebracht hatte, um einen Kollegen zu retten. Außerdem war er ein Hitzkopf. Vincent und Byrne hatten in dieser Hinsicht einiges gemein.
»Hallo, Vince«, sagte Byrne.
»Hast du heute schon mit Jessica gesprochen?«
»Nein«, sagte Byrne. »Was ist los?«
»Sie hat mir heute Morgen eine Nachricht hinterlassen. Ich war den ganzen Tag dienstlich unterwegs. Ich hab die Nachricht erst vor einer Stunde gelesen.«
»Machst du dir Sorgen?«
Vincent warf einen Blick auf das Roundhouse und dann auf Byrne. »Ja.«
»Was steht in der Nachricht?«
»Dass sie mit Nicci Malone nach Berks County gefahren ist«, sagte Vincent. »Jessica hatte heute frei. Und jetzt kann ich sie nicht erreichen. Hast du eine Idee, wohin in Berks County sie gefahren sein könnten?«
»Nein. Hast du es auf ihrem Handy probiert?«
»Ja. Aber ich erwische nur die Mailbox.« Vincent sah kurz weg, ehe er sich Byrne wieder zuwandte. »Was macht sie in Berks? Ermittelt sie in euren Serienmorden?«
Byrne schüttelte den Kopf. »Sie ermittelt im Mordfall Walt Brigham.«
»Walt Brighams Fall? Was ist da oben?«
»Weiß ich nicht.«
»Was hat sie zuletzt in den Computer eingegeben?«
»Komm, wir schauen nach.«
Als sie den Dienstraum der Mordkommission erreicht hatten, zog Byrne die Akte von Walt Brighams Mordfall heraus. Er schlug sie auf und suchte die letzten Einträge. »Das hier ist von gestern Abend«, sagte er.
Die Datei enthielt Kopien von zwei Fotos, Schwarzweißaufnahmen eines alten gemauerten Farmhauses. Es waren Duplikate. Auf der Rückseite eines Fotos standen fünf Zahlen, doch zwei waren aufgrund von Wasserflecken unleserlich. Darunter stand in einer geschwungenen Handschrift, die beide Männer als Jessicas Schrift identifizierten, mit einem roten Stift geschrieben:
195-/Berks County/nördlich von French Creek?
»Meinst du, sie ist dorthin gefahren?«, fragte Vincent.
»Keine Ahnung. Aber wenn sie dir die Nachricht hinterlassen hat, dass sie mit Nicci nach Berks gefahren ist, könnte es gut möglich sein.«
Vincent zog sein Handy aus der Tasche und versuchte noch einmal, Jessica zu erreichen. Nichts. Im ersten Augenblick sah es fast so aus, als wollte Vincent das Handy aus dem Fenster werfen – durch das geschlossene Fenster. Byrne wusste, wie er sich fühlte.
Vincent steckte das Handy wieder ein und ging zur Tür.
»Wo willst du hin?«, fragte Byrne.
»Ich fahre nach Berks.«
Byrne steckte die Bilder des Farmhauses ein und stellte die Akte zurück. »Ich komme mit.«
»Das musst du nicht.«
Byrne starrte ihn an. »Wie kommst du darauf?«
Vincent zögerte einen Moment und nickte dann. »Okay, dann lass uns fahren.«
Sie erreichten Vincents Wagen, einen perfekt restaurierten Cutlass S von 1970, im Laufschritt. Byrne war außer Atem, als er sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. Vince Balzano war viel besser in Form als er.
Vincent stellte das Blaulicht aufs Armaturenbrett. Als sie den Schuylkill
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